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Der Kopflohn - Roman aus einem deutschen Dorf im Spätsommer 1932

Der Kopflohn - Roman aus einem deutschen Dorf im Spätsommer 1932

Titel: Der Kopflohn - Roman aus einem deutschen Dorf im Spätsommer 1932 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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Beuren versuchte in einem fort, in Zillich hineinzureden. Der aber antwortete wenig. Er aß und aß mit gerunzelter Stirn. Er hielt die Müller zumeist für Spitzbuben. Wie immer zwischen seinen Ausbrüchen war er still und schweigsam. Es beruhigte ihn, unter den Gästen Niklas und Kunkel zu sehen. Sein Weib war nicht mitgekommen und wohl auch nicht eingeladen. Er löffelte nachdenklich. Seiner Gewohnheit nach nahm er, um besser satt zu werden, zu jedem Löffel Suppe einen Bissen Brot. Die Musik, die Menge fremder Gesichter, der Eßgeruch machten ihn müde. Er bedauerte, daß er angenommen hatte. Der junge Merz hatte ihm gefallen, wie er, ein reicher Bauernsohn, nach Botzenbach gekommen war, um mit ihm über die Aufnahme zu sprechen. Damals hatte er gern zugesagt. Jetzt spürte er, wie sich sein großer Körper langsam mit dieser Traurigkeit ausfüllte, deren er sich schämte und die er vor allen Menschen geheimhielt. Er hörte auf, Brot zu essen, und kostete nur den Geschmack der Suppe.
    Die Hilfsmagd kam und schenkte Wein ein. Der alte Merz hatte noch einen kleinen Vorrat Weißwein von seinem Vater. Damals hatte jeder angesehene Bauer seinen eigenen Weinberg am Fluß gehabt. Jetzt wurde dort längst geackert. Die zweite Hilfsmagd verteilte die Kartoffel- und Gemüseschüsseln. Die alte Magd brachte den Braten. Die Gäste lachten und stöhnten. Dabei ahnten sie, daß später auch noch die Hühner auftauchen mußten, die durch die Suppe gelaufen waren, gebraten oder in Reis gekocht. Die Merzens und die Bastians stießen die Gläser unter sich an. Alle Gäste stießen an. Der Lehrer und Luise hoben ihre Gläser. Der junge Merz und Sophie hoben ihre Gläser nicht. Sophie versuchte, seine Hand zurückzuschieben. Er legte sie auch auf den Tisch zurück. Verzweiflung erfaßte ihn wie noch nie, als sei er nun ganz sicher, daß er das Mädchen nie bekommen könnte. Sophie öffnete zum zweitenmal ihre Augen. Sie sah das Gewinde aus Gesichtern, deren Augen klein und deren Münder groß geworden waren. Diesem und jenem steckte ein grünes Zünglein aus Salat zwischen den Zähnen. Sie erblickte das gleichgültige Gesicht ihres Vaters zuerst vor sich, dann noch einmal an einer ganz anderen Stelle des Tisches, an einem schlechten Platz. Sie erschrak und vergaß, daß das ihr Onkel war. Der junge Merz sagte: »Iß, iß.«
    Christian Kunkel betrachtete mit seinen eng zusammenliegenden Augen die Radieschen und Salate in den großen Porzellanschüsseln. Sie waren alle aus seinem Treibhaus. Ziemlich weit von ihm entfernt saß die Nichte des Müllers aus Beuren, ein mageres, hübsches, blaugekleidetes Mädchen von siebzehn Jahren mit einem umgekippten Zopf. Kunkel dachte nach, ob dieses Mädchen für ihn in Betracht käme. Er sagte sich schließlich selbst ja. Da fuhr es sofort in ihn hinein, er sah das Mädchen aus Beuren an, sie sah zurück und wurde röter und lockerer. Beide zog es unter dem Tisch zusammen, beide hätten amliebsten die Gäste auseinandergerissen und sich nebeneinander in die Lücke gedrängt.
    Nacheinander standen Männer auf und redeten. Manche wünschten nicht nur den Brauteltern, den Paaren und den zu erwartenden Kindern, sondern dem ganzen Volk und der ganzen Heimat alles Gute und großen Aufschwung. Die übrigen schnüffelten ungeduldig über den vollen Tellern, bis die Reden zu Ende waren. Niklas und Johanna tauschten fortwährend ihre Gläser, waren schon ein wenig betrunken und küßten sich. Der Lehrer war vergnügt und fand sich richtig ein. Luise trank, wie sie gegessen hatte, ruhig und ziemlich viel, ohne sich zu verändern. Der junge Merz faßte das Glas mit beiden Händen und trank, nicht wie ein Bräutigam, sondern wie ein Verschmähter. Sophie sah jetzt nicht mehr auf. Um ihre Stirn herum, ihre zarten Schläfen wundreibend, drehte sich der Kreis aus Gästen, ob sie hinsah oder nicht.
    Zillich sah jeden der Redenden aufmerksam an. Er horchte gespannt, als erwarte er etwas. Jetzt hatte die Traurigkeit sein Herz erreicht. Er trank schnell. So war es also, wenn der alte Merz seinen Sohn verheiratete. Nachdem Zillich ein Glas von Merzens selbstgekeltertem Wein getrunken hatte, bekam seine Trauer Hand und Fuß. Er dachte an seinen eigenen ältesten Sohn, nicht an den, der jetzt sein Ältester war, sondern an den allerersten, der mit zwei Monaten am Stickhusten gestorben war. Damals war er noch nicht daran gewöhnt, daß sein Weib Kinder gebar, damals war er noch nicht daran gewöhnt, daß Kinder an

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