Der Kopflohn - Roman aus einem deutschen Dorf im Spätsommer 1932
sich, richtete sich wieder auf und dachte nach. Er überdachte alles, was er mit Kößlin gesprochen hatte, sowohl heute als die vergangenen Male. Plötzlich riß er seinen Rucksack heraus, holte aus allen Ecken der beiden Räume das bißchen Zeug, das ihm gehörte, stopfte es hinein, stopfte einen halben Brotlaib hinein und schnürte zu.
V
Kunkel hatte den Aufbruch auf die Schafswiese ungeduldig erwartet, um die Nichte des Beurener Müllers anzusprechen. Alles ging glatt. Der Müller hatte gemerkt, daß Kunkel das Mädchen betrachtete, er hatte sich bereits bei Tisch über Kunkel erkundigt und eine gute Auskunft bekommen. Er trat jetzt zu dem Paar hin, erinnerte anirgendeine Verwandtschaft und forderte Kunkel auf, ihn in Beuren zu besuchen. Der Müller, Kunkel, in strammer Haltung, und die Nichte, die übrigens im Stehen etwas zu groß und nicht so hübsch war, standen zu dritt auf der Straße und besprachen sich. Alle übrigen Gäste waren von Merzens Wiese auf die Schafswiese gegangen und vermischten sich dort mit den Dorfleuten, die nicht eingeladen gewesen waren und für die die Kirmes das einzige Fest war.
Es waren erst zwei Buden aufgeschlagen, eine zum Werfen und eine zum Schießen. Das Karussell drehte sich längst, auch der Galgen mit dem Ring war aufgeschlagen, den man im Drehen greifen konnte. Zuerst stand der kleine, dicke Paul Algeier ganz allein vor der Schießbude, drückte das große Gewehr gegen seine dicken Backen und zielte verbissen. Aber die Mühle drehte sich nicht, die Uhr schlug nicht, der Chinese nickte nicht. Er hatte jetzt keinen Groschen mehr. Zillich kam mit Niklas und dessen Braut heran, klapste Paul lachend und nahm ihm das Gewehr ab. Er zielte rasch, traf und hatte einen Freischuß. Allmählich versammelten sich viele, um zu sehen, wie Zillich schoß. Die Wurfbude machte überhaupt kein Geschäft. Zillich war jetzt nicht mehr sehr bedrückt. Was ihn bedrückt hatte, war wieder hinuntergerutscht, es drückte noch hie und da, aber er grübelte nicht. Er war jetzt froh, daß er zwei, drei seiner Burschen dicht bei sich hatte, und daß die Leute um ihn herumstanden und ihm beim Schießen zusahen, und daß er Gewinne machte, die man heimbringen konnte. Als er geschossen hatte, war etwas von dem Schweren abgesplittert, das sein Herz bedrückte. In der Sekunde des sicheren Schusses war er leicht und glücklich.
Auf einmal gab es ein großes Geschrei beim Karussell. Alle Pferde waren schon durch die dritte Tour besetzt. Grade, als es zum viertenmal losgehen sollte, kam Neugebauer mit seiner hexischen Frau, die gut gekleidet war,aber ihren Rock unterwegs niedergetreten hatte. Sie entdeckte einen freien Platz, ihr Mann wollte sie nicht lassen, aber sie bettelte. Schließlich hörte sie nicht auf den Mann, sondern ließ ihn stehen und kletterte hinauf. Kaum hatten die Einheimischen gemerkt, wer da hinaufkletterte, verloren sie die Lust, Karussell zu fahren, und stiegen einer nach dem andern auf die Erde. Der Karussellbesitzer hatte keine Lust, wegen diesem einen Weib anzukurbeln. Wie er aber merkte, daß sie nicht mehr hinunterging, kurbelte er an, und zwar so schnell als möglich. Alle Leute standen herum und brüllten und kugelten sich, weil niemand da oben fuhr als die Neugebauer. Sie stießen den Mann Neugebauer an, der sich duckte und krümmte. Aber auch er stierte seine Frau an, die da oben herumschwirrte und krisch und jaulte. Dort oben am Galgen hing der Ring, die Neugebauer dachte, den wollte sie nun erst recht kriegen, sie allein vor allen, nun grade. Sie streckte den Arm hoch und hüpfte, aber es ging zu schnell, die Leute lachten. »Greif! Greif!«, da wurde sie wild und griff, aber so heftig, daß sie den Galgenarm mitgriff und vom Pferd gerissen wurde und droben hängenblieb. Das Karussell drehte sich noch zweimal ganz leer um sich selbst. Die Leute schüttelten sich. Da kam Zillich von der Schießbude heran, pflückte mit seinem großen Arm die Frau vom Galgen. Später kam die Neugebauer schwindlig, vor Schmerzen stöhnend, mit ihren ausgerenkten Knochen zu ihrem Mann geschlichen. Der sagte: »Na wart, wenn wir zu Haus sind.«
Zillich hatte jetzt kein Geld mehr, um weiterzuschießen. Gleich wurden sie in Merzens Haus zurückgerufen, nicht auf die Wiese, weil es kühl wurde, sondern ins Wohnzimmer. Auf einmal war es mit ihm viel schlimmer als zuvor.
Kunkel, der gar nicht auf die Schafswiese gegangen war und keinen Pfennig herausgeworfen hatte, dachte, er könnte jetzt ruhig
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