Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Kopflohn

Der Kopflohn

Titel: Der Kopflohn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Seghers
Vom Netzwerk:
nicht woanders verhandeln. Ich muß mittags zurück. Ihr müßt rüberkommen.« Elster sagte: »Fällt mir nich im Traum ein. Grad nich. Sucht Euch ’nen andern.« Müller ließ seinen Arm los, er sah sich um, erblickte den Bursch mit der Pfeife und rief plötzlich: »Martin!« Der Bursch gab die Stricke zum Halten und sprang bei. »Was denn? Nur mit der Ruh! Was haste mit dem Jud vor?« – »Er will nich mitkommen!« Beide packten ihn am Arm, der kleine verwachsene Händler schrie: »Elster, Elster!« Die beiden ähnlichen Bauern kamen auch bei. »Er muß! Er muß!« Müller packte zu, er spürte das Fleisch unter dem doppelten Ärmel. Sein Gesicht veränderte sich, das Gesicht eines Mannes, dem das Herz in die Kehle springt. Martin lachte, er gab dem Elster mit dem Knie einen Puff in die Kniekehle, »Jud, verfluchter!« Elster dachte nach. Auf seinen ruhigen braunen Augen war der Glanz nur Firnis,keine Erregung. Er spürte den Griff im Fleisch, den Puff im Knie. Er sah sich gleichmütig um – die waren doch gar nichts, die gehörten zum Handel, ans andere Ende der Viehkoppel. Die Bauern starrten zurück – der war doch gar nichts, der gehörte herüber ans andere Ende der Viehkoppel. Elster sagte nachdenklich, auf Drängen hoffend: »Ei, holt Euch doch ’nen andern!« Schon war ein Reif aus Gesichtern um sie herum, Müller Hartberg schrie: »Kommste oder kommste nich?« Elster betrachtete ihn ruhig, nicht verächtlich, vielleicht allzu ruhig, vielleicht gab es auch bloß in seinem ausgefüllten Gesicht keine Delle für Unruhe. Müller hob ihm die Faust unters Kinn, Elster kam es vor, der hätte ihn mit einem scharfen Nagel gerissen, aber der jüngere Bauer schlug Müllers Arm zurück. »Willst du dich ins Unglück bringen?« Er drückte Müllers Faust auf und gab das Messer seinem Vater. »Will sich der denn versündigen?« Alle blickten einander in tiefem Erstaunen an. Elster fuhr sich mit der Hand ans Kinn, dann über den Gummimantel. Er betrachtete den Müller Hartberg verblüfft, wie man ein Pferd betrachtet, das plötzlich ausgeschlagen hat. Schon erlosch in Müllers Gesicht die Drohung zu Gram. Vor die träge, dicke Gestalt des Elster schob sich die quicke, dürre seines Schwagers, des verlorenen Freundes. Schon war der Riß auf Elsters Kinn ein gewöhnlicher Rasierschnitt. Der Abwisch am Mantel war einer von vielen Flecken. Die vier Burschen in Uniform waren über die Tische weggesprungen und schrien: »Raus, raus, raus!« Doch ihre Tritte trafen nicht den Hintern und den Nacken, auf die sie gemünzt waren. Der Bursch mit der Pfeife und der kleine verwachsene Händler hatten schon Elster unter den Arm genommen, er ließ sich jetzt wirklich auf die Straße schleifen. Eine Minute später wackelten sein dicker, mit einer Tellermütze bedeckter Kopf und unter einem breitkrempigen Hut der des Müller Hartberg über dem sachten Geschiebe brauner und scheckiger Tiere.
    Seinen Schwiegervater hatte er ganz vergessen. Der alte Naphtel im Billardzimmer war gelb und zitterte. Er hatte den wohlbekannten stämmigen Rücken seines Schwiegersohnes gesehen und das wechselnde Gesicht des Müller Hartberg. Seinen Schwiegersohn liebte er nicht sehr, aber er kannte ihn: seine Wohnung, drei auf den Hof gehende Zimmer, auf dem noch die leeren Käfige der ehemaligen Geflügelhandlung standen, seine Frau, die Naphtels Tochter war, eine kränkliche, kindische, von Blutarmut streitsüchtige Person, die aber Naphtel unsinnig liebte; seine Enkelin, ein dünngliedriges, dunkeläugiges, der Mutter nachgeschlagenes Mädchen, kränklich und launisch. Einen einzigen Augenblick, als man dem Müller Hartberg das Messer aus der Hand drehte, kam dem alten Naphtel flüchtig der Gedanke, der andere könnte auch ein Zimmer haben, eine Frau, Kinder. Naphtel stellte und reckte sich. Er blickte nach der Insel hinüber, sein Herz war ihm schwer, er hatte vor jeder Pause Angst; er dachte an den Tod, der immer kommen konnte, zum Beispiel jetzt durch die Glastür über das leere, grüne Billard. Auf einmal klopfte jemand ans Fenster. Naphtel drehte sich um: der alte Merz unter einem städtischen, eingekniffenen Filzhut. Er kam schnell auf den Platz und herein. Er hatte einen guten städtischen Anzug an, er trug ein altes Stöckchen mit einem silbernen Knauf, er war aus irgendeinem gewöhnlichen Grund aufgehalten worden. Die Handzettel hatte er auch gelesen, Eindruck hatten sie auf ihn nicht gemacht. Er war gewöhnt, mit dem alten Naphtel seine

Weitere Kostenlose Bücher