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Der Kopflohn

Der Kopflohn

Titel: Der Kopflohn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Seghers
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dich mal, jetz lern was.«
    Da fing Johann zu schreien an. »Dämm dich mal, dämm dich mal. Immer sagt ihr, dämm dich mal.« Wolf sagte von seinem Lötofen her: »Mit wem tobst du eigentlich?« – »Mit wem, mit wem, mit wem? Tob mal nicht, so allein wie ich bin, so allein wie ich war! So im Dreck, wie ich bin. So allein wie ich da bin auf meinem Dorf. Und du siehst, wie die anderen mehr werden – da tob mal nicht.«
    »Mit wem schreist du eigentlich?«
    Wolf drehte jetzt endgültig seine Stichflamme aus und kam heran. Dann schrie er selbst Rendels Kinder an, sie sollten mit dem Geklingel aufhören. Dann dauerten sie ihn. Er schenkte jedem von ihnen ein Katzenauge von alten Fahrrädern. Jetzt sah Johann aus, als täte es ihm leid, daß er nicht auch eins geschenkt bekam. Wolf starrte ihn kurz an, auf einmal durchfuhr ihn bei Johanns Anblick ein scharfer, ihm selbst noch unverständlicher Schmerz – als hätte ihn der zügellose Kummer des anderen angesteckt.Er sagte: »Nun, setz dich. Iß und trink.« Er selbst langte sich Rendels Kinder, die durchaus auf den Fahrrädern zu Abend essen wollten, klemmte sie zwischen Tisch und Wand ein. Frau Rendel strich kleine Brotstücke, die ihnen Johann in den Mund stopfte. Minutenlang sah es aus wie ein gewöhnliches Abendessen. Frau Rendel sagte: »Sonntag komme ich ins Dorf. Ich werde mich für meinen Rendel mit draufsetzen.« Johann sagte: »Würd ich abraten. Auf alles, was Rendel heißt, haben bei uns alle eine Mordswut.« Frau Rendel sagte: »Ja, trotzdem. Da muß man all seine Kraft drangeben, da muß man all sein Blut drangeben, daß schließlich alle verstehen, daß niemand, niemand, niemand im Himmel und auf Erden ihnen helfen kann als wir.«
    Johann war bei dem Streit unter seinem braungebrannten Gesicht erbleicht und war noch immer bleich. Es kam bei ihm in der letzten Zeit leicht vor, wenn sein Herz heftig geschlagen hatte, daß seine Hände nachzitterten. Obwohl er hungrig war, streckte er sie unter den Tisch, damit es die andern nicht merkten.

Siebentes Kapitel
I
    »Was denkste dir, Johann«, sagte Bastian, »ausgeschlossen. Das is doch längst verbraucht, mein Schuhleder. Nicht mal gibt’s mir der Ziegler zum Selbstkostenpreis. Sagt, entweder biste noch ’n Schuster, oder du bist keiner mehr.« Johann sagte leise: »Ich geh schon auf den Brandsohlen.«
    Bastian sah schnell auf seine Schuhe. Er dachte flüchtig an den Tag der Ankunft. Da waren ihm die falsch sitzenden Knöchelflicken aufgefallen. Er sagte: »Na, ich mach’s dir ja. Ich werd das Leder kaufen und dann selbst machen.«
    Auf einmal sahen alle, die Frau, Dora, Johann, sogar die jungen Kinder, gespannt auf Bastians Mund. Sie wußten, daß er jetzt gleich etwas sagen würde, worauf sie schon die ganze Zeit warteten. Bastian begann: »Johann, du bist ein ordentlicher Jung. Ja, du bist ein geschickter Bursch, du bist flink und willig. Nur, wie lang wird das noch dauern? Einmal mußt du ja doch nach Botzenbach. Du hast dich noch gar nicht bei deinen Verwandten gezeigt, hast dich verleugnet. Es wird Zeit, wirklich. Du kannst natürlich noch dableiben, bis die Rüben raus sind, aber was soll ich dann machen?«
    Bastian wollte jetzt schweigen. Weil aber alle immer noch auf seinen Mund starrten, mußte er weiterreden.
    »Ich sage, was soll ich machen? Johann, du mußt da nicht abwegig denken. Du bist mir wirklich wert und lieb. Sieh mal, Johann, ich hab mir gedacht, du bringst dich selbst ein. Ich red frei von der Leber weg. Du hast’s nich reingebracht. Ich hab mir gedacht, was der mir anArbeit abnimmt, das ist eingespart. Aber woran soll ich’s sparen? Sieh dich um, sag selbst. Einmal brauchste Sohlen, neulich haste ’n Hemd gebraucht. Es springt nich raus.« Alle fuhren fort, ihm auf den Mund zu sehen. Er mußte weiterreden. »Meinste, mir wird’s leicht? Mit meinem eigenen Kind mach ich’s nicht anders. Ich geb sie aus der Hand diesen Winter.« Jetzt sahen endlich alle von ihm weg auf Dora. Es war zum erstenmal klar gesagt, endgültig. Wieder hatte die graue Luft ein Loch, in welches Dora ihr weißes Gesicht legte. Sie glich der Tochter des Konrad Bastian am Morgen der Brautwerbung. Sie hörte auf, ihren Vater anzusehen. Sie sah mit scharf glänzenden Augen reihum, die jeden ritzten. Bastian sagte: »Mein Bruder Konrad, dessen Tochter jetzt heiratet, wird sie den Nachmittag gegen Jahrgeld nehmen und in den Ferien ganztags.«
    Jetzt war Doras Gesicht wie die Luft, grau. Doch gab es im ganzen

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