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Der Kopflohn

Der Kopflohn

Titel: Der Kopflohn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Seghers
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wenigen Geschäfte zu besprechen. Sich dazu einen andern auszusuchen, das war ihm ebenso zuwider, als in die Kirche zu gehen, wenn man einen neuen Pfarrer eingesetzt hatte. Einer betrachtete des andern Bart. Seit dem letztenmal waren in beiden Bärten die letzten Rostflecken vergilbt. Während Merzens Bart steif und eisig war, war Naphtels Bart fransig und locker. Kaum hatte Merz den Mund aufgemacht, da verstand Naphtel alles.Der alte Merz hatte den Wunsch, bevor er seine Kinder verheiratete, seine eignen Sachen in Ordnung zu bringen. Naphtel war erschrocken, weil es mit Merzens schiefer stand, als er erwartet hatte. Der alte Merz machte sich wenig Gedanken, wenn er nur alles, solange er selbst da war, im Gleichgewicht hielt. Er setzte sein eigenes Leben nicht auf lange, fünf, sechs Jahre. Sein Vater und sein Großvater waren auch stark gewesen, es war plötzlich gekommen, ohne Siechtum. Es wurde beschlossen, daß Naphtel einen Käufer für das Haus suchte. Sie wollten sich am nächsten Markttag am gleichen Ort treffen. Naphtel sah eine Woche vor sich, voll von Gängen, Unterhandlungen und Aussichten. Er war froh, als ob er die Zeit nicht ausgefüllt, sondern zum Leben dazugeschenkt bekam.
    Der alte Naphtel war verzweifelt, aber nicht verwundert, weil alles schlecht war. Er war überzeugt, daß alle Menschen schlecht waren. Der alte Merz aber, der trotz allem gekommen war und sich an seinen Tisch setzte, erschien ihm eine Ausnahme, gerecht und gütig.
V
    Noch ein einziger Ruderstoß, dann fuhr das Boot ins Schilf. Das Schilf deckte den Fluß und die Sonne zu. Bei dem kräftigen Schnalzen des zurückgebogenen Schilfes wurde Johann froh. Marie rutschte von der Ruderbank auf den Boden, der mit einer zerlumpten Matte bedeckt war. Sie trug ein altes blaues, unter den Armen aufgeplatztes Kleid. Ihre dicken Strümpfe waren eingerollt. Frisch und weiß waren die Röcke unter dem blauen Kleid, die glatten, runden Beine. Johann drehte sich vorsichtig um. Er legte seine Hand in ihr Kleid, suchte mit der Hand das Herz, ließ sie dort liegen. Das ist gut so, dachte er, manchmal, wenn etwas ganz ernst ist und ganz wichtig und für lange Dauer, das ist oft nicht halb so gut.Er dachte, wie man über einen Fremden nachdenkt: Wenn ich einmal im Leben eine Frau haben könnte, dann wäre so eine Frau gut. Wenn ich einmal im Leben einen Sohn haben könnte, dann wäre so eine Brust für ihn gut. Er lächelte und dachte: Jetzt denke ich an meinen Sohn wie Niklas vom Holzplatz. Marie sagte: »Warum lachst du?« Er sagte: »Weil du so komisch aussiehst, von hier aus, dein Kinn und deine Nase.«
    Nach einer Weile ruderten sie aus dem Schilf und machten das Boot an einem Floß fest. Dann kletterten sie durch den Wald auf die Straße. Marie sagte: »Wirste jetzt für lange bei Bastians bleiben?« – »Ich? Ich weiß nich.« Marie fuhr fort: »Mein Vater hat vielleicht was von uns gemerkt, er hat dich vorhin so komisch angesehen. Hast du nich gefunden?« – »Hab ich nich gefunden, is auch egal.« – »Egal is das auch gar nich.«
    Sie kamen aus dem Wald heraus. Johann sagte: »Am besten setzt du dich jetzt dahin an den Kanal, wo wir schon mal gesessen haben. Ich muß zu Kastrizius gehen und dann noch wohin, und dann hol ich dich.« – »Ich kann doch nicht so in dem Kleid.« – »Warum nicht? Wen stört’s?« – »Kann denn der Bastian bei Kastrizius abbezahlen? Wie kann er’s denn?« – »Ich glaub’s nich, daß er’s kann.« Marie zog im Gehen ihre Nadeln aus dem Haar, steckte sie zwischen die Zähne und flocht ihren Zopf frisch. »Jetzt so ’n Quatsch, so ’ne Pump, so ’ne Unkosten.« – »Wegen der Dora.« – »Wegen der Dora. lch verschlepp mich auch nicht.« – »Die geht auch dreimal in dich rein.« – »Ja, wenn man aus der ’n Häschen gemacht hätt, wär’s auch kein fettes geworden. Ja, wenn man nicht mal stark is. Ja, wenn man heutzutag nicht mal stark ist auf der Erd, so wie sie ist, dann soll man sich gleich unten drunter legen. Dann soll man sich obendrauf auf gar nichts einlassen.« – »Sie hat aber geschickte Hände, die Dora. Aus meiner Jacke hat sie ’n Prachtstück gemacht.« – »Du bist ja ganz verschossen in die Dora.« – »Weil ich sag,sie hat geschickte Hände, bin ich doch nicht in ’n Ding von zehn Jahren verschossen.« – »Was reden denn die Bastians, daß die andern Bastians heiraten?« – »Was sollen sie reden? Bist du denn eingeladen?« – »Von uns ist niemand eingeladen. Das

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