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Der Kopflohn

Der Kopflohn

Titel: Der Kopflohn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Seghers
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wird eine Hochzeit werden«, erzählte Marie, ohne zu merken, daß Johann bereits von mächtiger Stadtunruhe ergriffen, auf nichts hörte als auf den bloßen Klang ihrer Stimme. »Eine Hochzeit«, sprach sie weiter, »wo man bei gutem Wetter große Tische auf die Wiese stellt, und wo viel gegessen wird, Mandelberg und Kaffee hinterher, und nachher wieder ein Essen. Sonst ist der alte Merz knauserig, auf der Hochzeit wird er ein ganzes Jahr veressen. Nein, wir sind nicht eingeladen.«
    Sie traten in den kleinen Wirtshausgarten. Er war wieder leer. Johann setzte sich gar nicht, sondern bestellte nur für Marie. »Wart, ich hol dich wohl ab.« Marie sah ihm nach, wie er über die Brücke lief. Aus ihrem Gesicht verschwand die tiefe, sorglose Ruhe, sie war müde und nachdenklich. Sie hatte noch immer keine ordentliche Stelle gefunden. Den Winter im Dorf mit und ohne Johann, das waren zwei ganz verschiedene Winter. Johann konnte sich doch nicht immer bei Bastians festsetzen. Bei ihren Eltern war erst recht kein Platz. Sie mußten wohl beide über kurz oder lang in die Stadt zurück, wenn Rüben und Kartroffeln drin waren. Genau wie das letztemal kamen ein paar Arbeiter aus der Schuhwichsfabrik. Marie schämte sich, weil ihr Kleid aufgeplatzte Nähte hatte, und drückte die Arme an sich. Sie dachte an ihren Vater. Während sie hier herumsaß und auf die Rückkehr des Freundes wartete, jetzt, da der Junge weg war, dachte sie auf einmal an ihn, den Alten. Sie allein in der Familie, vielleicht unter allen Menschen, kannte seinen Blick, helle, in dem vertrackten, haarigen Gesicht verborgene Punkte. Er wußte vielleicht über ihre Liebschaft Bescheid, wollte aber keine Scherereien. Die letzte Zeit war eine Veränderung mit dem alten Mann vorgegangen. Ersagte jetzt manchmal zur Mutter: »Warum flennste? Niemand hört’s.« Zu Paul sagte er: »Wenn du glaubst, du zwingst’s so herum – ich glaub’s nicht.« Zu ihr sagte er: »Die Merzens und Bastians steuern jetzt ihre Töchter aus, das kann ich nicht. Ich hab dir auch im Jahre dreiundzwanzig keine Bettücher kaufen können. Ich hab kein Bargeld gehabt. Ich hab mir im Krieg keins gemacht. Such dir ’nen andern Vater aus.«
    Es gab an den Tischen welche, die sie vom letztenmal erkannten. Sie riefen: »Allein, Fräulein?« Und »Wollen Sie gar nicht Gesellschaft, Fräulein?« Marie schüttelte den Kopf und lachte.
    Von einer einzigen herbstabendlichen Bewegung ergriffen, glühte der Ginster auf am Rande der Sandgruben, hob sich ein Schwarm Vögel aus der Grube, kreiste über dem Kanal, teilte sich in zwei Schwärme, von denen sich einer auf dem Fabrikdach niederließ, der andere auf dem Wasser, auf einem schillernden Ölauge. Marie fror. Sie war auf einmal überzeugt, daß Johann sie gar nicht abholte. Sie schluckte ihren Kummer und rannte, so schnell sie konnte, nach Haus.
VI
    Johann hatte Marie vollkommen vergessen. Er war zu Kastrizius gegangen mit der zweiten Ratenhälfte. Dort hatten sie gefragt, wie es denn mit der nächsten Rate stünde. Er hatte gesagt, darüber wüßte er nicht Bescheid, sie würden schon zu ihrem Geld kommen. Dann war er in Wolfs Werkstatt gelaufen. In Wolfs Werkstatt waren die Kinder herumgeturnt und hatten sämtliche Fahrradklingeln in Bewegung gesetzt. Schirmlose, grelle Birnen brannten über Wolfs Lötofen, über dem Tisch, an dem Wolfs Frau mit einer breiten, fremden Frau hantierte. Johann fragte: »Wo ist Rendel?« Wolf deutete auf die Tür des Küchenzimmers. »Nicht weit.« Er fügte hinzu: »Dasist seine Frau, und das sind seine Kinder.« Er trat an den Lötofen zurück. Frau Rendel sagte: »Ach so, du bist Johann.«
    Sie gaben sich die Hand. Er hatte noch nie an einer Frau einen Blick gesehn, der so weit hineinging. In dem allzu grellen Licht sah ihr Gesicht vor Überanstrengung zerrissen aus, wie verwundet, nur ihre schwarzen, harten Augen waren heil geblieben. Sie sagte: »Es geht dem Rendel wieder ordentlich. Es war oft Polizei da, bei mir daheim und hier. Sie haben Protokolle gemacht. Nicht bei denen – bei uns haben sie hausdurchsucht. Sie haben alles durchgewühlt. Ich habe gesagt: Sucht ihr vielleicht das Messer, mit dem sie meinen Mann angestochen haben? – Besser, du gehst, Johann.«
    Johann sagte: »Jetzt gleich? Das ist auch für mich sehr schecht. Immer allein, das kann ich gar nicht aushalten.«
    »Hör mal, da gibt’s ganz andres zum Aushalten. Du bist ja jung, du hast wild angefangen, hast wild losgestochen. Na, jetz dämm

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