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Der Kopflohn

Der Kopflohn

Titel: Der Kopflohn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Seghers
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Zimmer nichts Helles mehr als ihre Augen. Sie sah jetzt nur Johann an. Johann stand auf, beugte sich etwas vor und packte den Tisch mit beiden Händen. Der Bauer konnte den Sinn dieser Bewegung nicht verstehen. Er sah an dem stehenden Johann von unten hinauf. Johann zog die Schultern ein vor Anstrengung. Sein Gesicht veränderte sich, der Mann und die Frau blickten mit offenen Mündern in Johanns neues Gesicht. Das hätten sie nie und nimmer bei sich aufgenommen. Er sagte mit neuer Stimme: »Zu denen gebt ihr sie hin, ihr, wirklich?« Er kippte den Tisch, drückte die Kante gegen die Brust des Bauern. Der wiederholte, zwischen Tisch und Wand geklemmt: »Man muß doch.« Er fügte hinzu: »Wenn man muß, ist es viel besser beim eigenen Blut.«
    Johann wagte doch nicht, den Bauer ganz scharf einzuklemmen. Er klemmte seine eigenen Nägel. Die letzten Wochen hatte er alles gut geschluckt, noch gestern in Wolfs Werkstatt. Endlich in diesem Augenblick spürte er die Verzweiflung, die der Gewalttat vorangeht, in ihrerWucht und Großartigkeit, nur der Erleichterung vergleichbar, die ihr nachfolgt. Er wäre wild geworden, wenn sich der Bauer geregt hätte. Der aber verhielt sich still in seinem Spalt, sagte nur: »Geht alle raus.«
    Die Mutter, Dora, der kleine Bruder gingen hintereinander in den Garten. Sie ließen die Tür angelehnt. Man hörte dann sofort einen Rechen kratzen. Bastian und Johann horchten hin. Johann ließ den Tisch los. Das Klopfen seines Herzens, das Kratzen des Rechens, das Muh der Dorfkühe und der eigenen gab alles zusammen doch nur eine Abendstille. Von keiner Gewalttat abgelöst, gleichsam auf alle Blutstropfen verteilt, spürte er sein Unglück. Er hackte auf den Tisch. Bastian sagte: »Was stehste in deiner Länge? Setz dich doch, Johann. Was soll ich denn machen? Soll ich mir vom Kopf die Decke ziehen lassen?« Johann sagte: »Ja, lieber, jaja.«
    »Das nützt gar niemand, nein.«
    »Doch, doch, doch.«
    Da sagte der Bauer: »Setz dich oder geh raus. Ich weiß gar nich, warum du so ’ne große Aufregung draus machst. Das is hier am Ort so. Überhaupt, was kümmert dich das so groß? Es is deine Schwester nich, du bist mein Sohn nich.«
    Er merkte sofort, daß er etwas Schreckliches gesagt hatte. Er erschrak. Er hatte gesagt, Johann sei nicht sein Sohn. Johann war doch an dem Abend eingetroffen, als er vor Erschöpfung fast zusammenbrach. Er hatte doch in den letzten Wochen oft gedacht, Johann könnte sein rechtzeitig geborener Sohn sein. Er sah dem immer noch stehenden Johann von unten ins Gesicht. Der hatte wohl gemerkt, daß ihm etwas Schreckliches gesagt war.
    Einen Augenblick sah es aus, als brüte Johann über eine gebührende Antwort nach. Dann veränderte sich sein Gesicht. Er setzte sich. Bastian blickte auf seinen hellen gesenkten Kopf. Er begriff erst jetzt den Grund seiner Erregung. Tiefes Erstaunen ergriff ihn, Zärtlichkeit, dieihn quälte, weil er nicht wagen durfte, die Hand auf dieses fremde Haar zu legen, die Bewegung zu tun, die den Umkreis seines Lebens überschritten hätte. Draußen quietschte der Pumpenschwengel wie jeden Abend. Die Eimer schlugen an. Beide saßen vor dem Tisch und horchten in einem Gefühl von Unentrinnbarkeit. Die Frau rief: »Dora! Faß!« Plötzlich merkte Johann selbst, was Bastian an seinem Gesicht schon gemerkt hatte, daß er verändert war. Geduld bemächtigte sich seiner, er grübelte nach, wie er mit Bastian besser reden könnte als bisher, die letzten Wochen seines Hierseins ausnutzen. Bastian grübelte indessen nach einem Ausweg, um Johann den Winter über bei sich zu behalten.
II
    Der junge Merz kam heim, setzte sich aber nicht zum Essen, sondern zog ein frisches Hemd an und ging in das Haus des Konrad Bastian. Er erfuhr, daß seine Braut den Tag in Botzenbach bei der Patin mit Nähen verbracht hatte und abends zurückerwartet wurde. Er ging ihr also auf der Landstraße entgegen.
    Es war ein klarer Tag gewesen, jetzt fiel die Sonne schnell. Zwischen den Flußhügeln war der Himmel aufgerissen und glühend. Eine Feuersbrunst hatte die Buchenwälder ergriffen, die zwei kleinen Dörfer auf dem Hügelabfall. Diesseits des Flusses war schon alles danieder. Die kahlen Felder sahen grau aus, auf den Rübenäckern lag ein toter, gelber Schein. An einer Stelle hatte man angefangen, die Rüben herauszumachen, acht, neun Haufen, eine kurze Rauchfahne wehte, die Bauern waren fortgegangen. Der junge Merz eilte sich sehr, um seine Braut möglichst weit vom

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