Der Kopflohn
Dorf zu treffen. Als er an der Straßenbiegung angelangt war, erblickte er sie plötzlich nahe, einen Korb im Arm, ein Tuch um den Kopf gebunden,in einer großen gestreiften Schürze. Er sprang unwillkürlich über den Graben und setzte sich auf den Ackerrand. Zwischen dem niederbrennenden Himmel und der grauen Erde, mitten in der unermeßlichen Dämmerung, erschien ihm dieses Mädchen schwächer denn je, ein Mücklein in seiner Hand, aber auch ebenso flüchtig, vielleicht sogar unfangbar. Nie war seine unerklärliche Angst so groß gewesen, daß das Mädchen ihm entrinnen könnte. Er schrie: »He, Sophie!«
Das Mädchen erschrak, wagte aber nicht weiterzulaufen, sondern stellte seinen Korb hin. Der junge Merz streckte ihr die Hand entgegen. »Spring rüber.« Sie antwortete: »Ich muß schnell heim.« – »Ach was, ich trag dir deinen Korb.« Sophie hob ihren Korb auf. Sie sagte noch mal, weil ihr sonst nichts andres einfiel: »Ich muß schnell heim.« Sie lief ein paar Schritte, der Merz lief auf dem Ackerrand mit. Er sprang dann in den Graben, faßte sie um und schwenkte sie herüber. Er küßte sie schnell auf den Mund. Ihren federleichten, vor Angst schlaffen Körper zwischen seinen Händen, sagte er hastig, verzweifelt, was immer alle sagten: »Ob heute oder morgen, ob vorher oder nachher, niemand sieht’s, niemand hört’s.«
Das Mädchen rief laut: »Nie, nie, nie!« Sie widersetzte sich zum erstenmal, nicht einmal schwach. Um ihre grauen, noch furchtsamen Augen entstand schon ein neues Gesicht von heftiger Entschiedenheit. Er packte sie fest und hielt sie über die Erde, um seine Kraft zu zeigen. Sie sagte: »Ich werde dich niemals heiraten.« Er stellte sie auf den Boden, so hart, daß sie beinah in die Knie fiel. Dann aber kam ihm der Gedanke, über den großen vollen Korb herzufallen und in ihm zu wühlen. Er lachte erleichtert, so wie er damals in Bastians Garten gelacht hatte: lauter Wäschestücke für die Aussteuer.
Sie kehrten nebeneinander ins Dorf zurück. Leise, fast sanft, redete er auf das Mädchen ein. Er versuchte ihr klarzumachen, was das bedeutete, eines guten Manneseinzigen Sohn heiraten, die angesehenste Bäuerin des Ortes werden. Er erzählte von seinen Pferden, seinen Feldern, seinem Waldgrundstück, seinen Bienen. Bisher hatte er alle diese Dinge als Besitz seines Vaters betrachtet, von ihm selbst getrennt. Jetzt erschienen sie ihm in neuen, leuchtenden Farben. Zum erstenmal dachte er an den Tod seines Vaters mit Genugtuung. Sophie sagte nichts. Den ganzen Weg hielt sie den Kopf von ihm weggedreht.
Als der junge Merz heimkam, waren grade alle mit dem Essen fertig. Schimpfend goß die Magd frischen Teig in die Pfanne. Auf dem Tisch stand ein großer Steinguttopf mit eingemachten Heidelbeeren. Als er sich ausgeschöpft hatte, spießte die Magd schon einen triefenden Pfannenkuchen auf der Gabel. Der alte Merz blieb sitzen, die Frauen räumten den Tisch ab, spülten das Geschirr und scheuerten die Steinfliesen um die Stühle. Der alte Merz wartete, bis sein Sohn fertiggegessen hatte, dann rief er: »Raus, ihr Weiber!«
Er betrachtete lächelnd seinen Sohn, in dessen gequältem Gesicht die Mundwinkel von Beerensaft blau waren.
»Na?« Der Junge sagte mürrisch: »Was, na?« Er fügte hinzu: »Sie will nich, sagt sie jetzt, überhaupt nich.«
»Wer? Was? – Ach so. Biste denn ganz verrückt? Sagt sie, sie will nicht, dreht sich und wendet sich. Angst hat sie natürlich, weil du so’n Stieß bist. Aber so sicher, daß das hier unser Zuckerstreuer ist und das hier unser Heidelbeerfäßchen, so sicher wird sie deine Frau abgeben – und leider nicht mal zu unserem Vorteil.«
Da wurde der Junge wahrhaftig ruhiger unter seines Vaters Stimme, seine Angst geringer. »Aber das ist nicht meine Sorg, Bursch – ich wollt was andres, ich hab mir da was rum überlegt. Wegen Kunkels und Anhang. He«, rief er, »wisch dir doch dein Maul ab, bist ganz preußischblau.« Der Junge nahm ein Stück Brot und rieb seine Zähne und Lippen gründlich, um sich die Antwort zu überlegen,während sein Vater fortfuhr: »Tritt bei, wenn du meinst. Tritt also bei, in Gottes Namen. Ich hab kein großes Behagen dabei, aber grad deshalb, grade weil ich kein großes Behagen hab, mein ich, es ist besser, man ist dabei und kann den andern auf die Finger gucken. Wie, was sagste? Daß der Breideis voran ist, das hat mich nicht bewogen, der braucht ’ne Hetz, das ist ’n Schnippschnack, der hört sich selber gern
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