Der Kopflose Rächer
gekommen. Den hatte sie schnell wieder verworfen, denn sie hätte erklären müssen, daß sie sich in einer Gefahr befand, und das wäre ihr schwergefallen. Auf einen Verdacht hin wurden keine Leute abgestellt, die woanders besser eingesetzt werden konnten.
Also blieb sie allein, und das in einer Wohnung, die ziemlich groß war.
Brenda wohnte in der ersten Etage eines Hauses aus viktorianischer Zeit. Geerbt hatte sie die Wohnung von ihren Eltern. Beide waren tot.
Der Vater war erst vor einem Jahr gestorben. Lungenkrebs.
Vier große Zimmer, dazu ein geräumiges Bad. In der Wohnung konnte man sich verlaufen. Hätte sie die Wohnung zum Kauf angeboten, sie wäre mit Kußhand genommen worden.
Nach ihrem Einzug hatte Brenda zuerst die Küche modernisiert. Sie hatte eine neue gekauft und einbauen lassen. Brenda hielt sich sehr oft in der Küche auf, deshalb auch die Bank und die beiden Stühle und die kleine Kommode, auf der die Glotze stand.
Das Programm vertrieb ihr die Einsamkeit nach dem Dienst. Sie hatte die langen Abende des öfteren verflucht, und so manches Mal hatte sie sich nach einem Mann gesehnt, wobei vor ihrem geistigen Auge stets die Gestalt des Richters erschienen war.
Das war vorbei.
Erinnerung…
An diesem Abend hatte sie vorgehabt, sich ein Stück Fisch zu braten.
Sie beließ es beim Vorsatz, der Appetit wollte einfach nicht kommen. Um wenigstens etwas zu essen, begnügte sie sich mit einer Scheibe Toast, auf die sie kaltes Roastbeaf legte. Essend stand sie am Fenster und schaute in die Dunkelheit.
Die Anrufe kamen ihr in den Sinn. Sie waren nicht zu unterschätzen, sie hatten sich in der letzten Zeit immer drohender angehört. Die Bande wollte von ihr erfahren, wie weit die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft gegen sie gediehen waren.
Brenda war nicht informiert. Zwar hatte sie in ihrer neuen Position einen Blick in die Akten werfen können, doch der Richter, bei dem sie jetzt arbeitete, beschäftigte sich zudem noch mit anderen Verbrechen. Es machte sich schon bemerkbar, wenn ein Kollege fehlte.
Den letzten Bissen spülte sie mit dem mittlerweile kalt gewordenen Kaffee herunter und holte aus dem Schrank die Schachtel mit den Zigarillos. Im Büro rauchte sie nicht, hier zu Hause konnte sie den kleinen Lastern nachgehen, dazu gehörte auch der Schluck aus der Weinflasche. Auf eine halbe Flasche pro Abend hatte sie es schon gebracht, und Brenda lief Gefahr, daß es mehr wurde.
Die Flasche stand auf dem Tisch, das Glas daneben, und Brenda wollte sich setzen, als das Telefon klingelte.
Ein Apparat stand in der Küche auf einem Holzregal. Der moderne Quälgeist stand in Brendas Reichweite, dennoch traute sie sich nicht, sofort nach dem Hörer zu greifen.
Denn da war wieder die Angst, und sie dachte an die Anrufe der Bande.
Man wollte etwas von ihr, sie war als einzige Person noch übriggeblieben. Die Bande war gut informiert über das Vertrauensverhältnis zwischen Brenda und ihrem ehemaligen Chef.
Das Telefon hörte nicht auf. Brenda Tradlin wußte, daß es keinen Sinn hatte, sich zu weigern. Wenn sie nicht abhob, würden sie auf eine andere Art und Weise versuchen, Kontakt zu ihr aufzunehmen.
Es mußte ja kein Mitglied der Bande sein, das anrief. Vielleicht hatte Sinclair es sich überlegt. Möglicherweise brauchte er eine Information, oder er hatte mittlerweile selbst etwas herausgefunden.
Sie war ziemlich durcheinander. Ihre Gedanken wirbelten, trotzdem spürte sie eine Blockade. Auch das Herzklopfen paßte ihr nicht, und als sie schließlich abhob, wäre ihr der Hörer beinahe wieder aus der schweißfeuchten Hand gerutscht.
»Hallo…«
Es war nicht Sinclair, dessen kratzige Stimme da an ihr Ohr drang.
Augenblicklich schlug ihr Herz schneller. Am liebsten hätte sie aufgelegt.
Brenda unterdrückte den Wunsch und lauschte.
»Hast du es dir überlegt?«
Eine Frage nur, mehr nicht. Nur brachte sie es einfach nicht fertig, eine Antwort zu geben. »He, hast du es dir überlegt?«
»Was denn?«
»Die Akten. Wir wollen die Akten haben. Du solltest sie mit nach Hause nehmen, wir haben dir alles sehr genau gesagt, Brenda. Wo sind die verdammten Akten?«
»Ich… ich habe sie nicht.«
Der Anrufer schwieg. Brenda hörte ein seltsames Kratzen und Rauschen in der Leitung. Sie ging davon aus, daß der Mann von einem Autotelefon aus sprach. »Bitte, ich komme nicht…«
»Wir wollen keine Ausreden hören, das mußt du doch wissen. Wir haben es dir schon vor Tagen gesagt. Jetzt hast du den
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