Der Kopflose Rächer
schreckliche Tat zu vollenden.
»Es liegt an dir.«
Brenda Tradlin gab keine Antwort.
Sie wollte auch nicht mehr in Shaynes Gesicht blicken, deshalb sah sie an ihm vorbei und nahm das Fenster in Augenschein.
Dahinter lag die Dunkelheit. Nicht so finster wie auf dem Land.
Ein schwacher Laternenschein glitt noch in unmittelbarer Nähe vorbei und schuf jenseits der Scheibe eine diffuse, irgendwo auch unruhige und unheimlich anmutende Fläche, die sich in ihrem Innern zuckend zu bewegen schien.
Dort hinein glitt etwas.
Sie konnte es nicht erkennen, aber sie hatte sich auch nicht getäuscht.
Es war ein Gegenstand, der keinen Kontakt mit dem Boden besaß und durch die Luft schwebte.
Ein Ballon…
Nein, kein Ballon…
Heller, auch nicht so rund, der sah mehr aus wie ein…
Brenda erstarrte. Sie fror ein, denn plötzlich hatte sie den Gegenstand erkannt. Es war ein Kopf. Nicht irgendeiner. Der Kopf des Richters!
***
Sie sagte nichts. Brenda hatte das Gefühl, aus der normalen Welt herausgerissen worden zu sein, um hineinzutauchen in eine andere, die es einfach nicht geben konnte. Wenn es so wäre, dann hätte das Jenseits es geschafft, einen Weg in das Diesseits zu finden. Eine irrsinnige Konstellation, unglaublich, aber deshalb auch falsch?
Der Kopf war eine Tatsache. Zwei Augen ebenfalls. Weit geöffnet, und sie glotzten durch die Scheibe in die Küche wie die Augen einer Halloween-Maske, die erschienen war, um die Menschen zu warnen.
»Was ist denn?«
Brenda rührte sich nicht.
»Sag was!«
»Ich… ich kann nicht!«
Shayne holte tief Luft. »Verdammt noch mal, was glotzt du an mir vorbei!« Auf dem Stuhl drehte er sich herum, um auch einen Blick auf das Fenster zu werfen.
Brenda schloß die Augen. Sie wollte nicht miterleben, was geschah, wenn dieser Kerl den schwebenden Kopf des toten Richters vor der Scheibe sah. Möglicherweise würde er durchdrehen und zusammen mit seinem Kumpan ein Blutbad anrichten. Sekunden vergingen.
Jetzt, dachte sie immer wieder, jetzt muß es doch einfach geschehen. Es geschah nicht. Und als Shayne anfing zu sprechen, da klang seine Stimme normal. »Drehst du schon durch, wenn du eine normale Fensterscheibe siehst?« Er lachte. »Das ist doch Irrsinn.«
Die Worte waren schwer zu verdauen, sie klangen auch einfach zu unglaublich, und nur sehr langsam kam sie wieder zu sich und fand sich in der Wirklichkeit zurecht. Sie hob den Kopf, um abermals auf das Fenster zu schauen.
Nichts tat sich dort. Sie sah die leere Fensterscheibe und hinte ihr die normale Nacht.
»Na…?«
Brenda wußte nicht, was sie noch sagen sollte und hob mit einer vagen Bewegung die Schultern. Sie fühlte sich eingekesselt und von zahlreichen Tentakeln umgeben, die wie unsichtbare Arme an ihrem Körper hochgeglitten waren, um sie umschlingen. Etwas stimmte nicht.
Die Angst hatte sie verändert und ihr diese Halluzinationen geschickt. In dieser Streßlage hatte sie nicht mehr so cool reagieren können wie sonst, da waren die Wunschträume stärker als das reale Denken gewesen.
Sie biß sich auf die Lippe.
»Scheiße, nicht?«
»Wieso?«
»Deine Angst, deine Vorwürfe. Allmählich scheinst du zu begreifen, daß du was falsch gemacht hast. Noch ist es nicht zu spät, doch der Faden der Geduld wird immer kürzer.«
»Ich weiß.« Hinter der Brille wirkten die Augen starr wie Kugeln.
»Dann tu etwas?«
»Nein, ich kann es nicht.«
Shayne setzte sich noch bequemer hin. »Sorry«, sagte er, »dein Pech, aber wir brauchen die Akten. Und von Kojak haben wir noch immer nichts gehört. Eigentlich hätte er Bescheid gesagt, wenn es ihm gelungen wäre, die Akten zu finden. Aber das ist nicht geschehen. Normalerweise müßte er die Wohnung schon längst durchsucht haben, denke ich.« Er grinste Brenda an. »Oder meinst du nicht?«
»Ich… ich weiß nicht.«
»Solltest du aber, denn…« Er verstummte, weil er aus dem Flur Tritte gehört hatte.
Auch Brenda sagte nichts mehr, sie lauschte ebenso wie ihr unheimlicher Besucher.
Shayne rieb seine Hände. »Er kommt zurück, und ich glaube nicht, daß er gute Nachrichten für dich haben wird.«
Das glaubte Brenda zwar auch nicht, im Gegensatz zu Shayne war sie sich jedoch nicht so sicher, daß es der Glatzkopf war, der zurückkehrte.
Aber wer dann?
Sie war gespannt, drehte ihren Kopf der Tür zu und hörte, wie die Tritte an Lautstärke zunahmen.
Die Person hatte einen schweren Gang und setzte die Füße unregelmäßig auf.
Shaynes Grinsen zerbrach in
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