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Der Kraehenturm

Der Kraehenturm

Titel: Der Kraehenturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Pflieger
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überzogen vor ihr. Zaghaft streckte Carissima eine Hand aus und berührte ihn. Kaum fuhren ihre Finger über die kalte Oberfläche, zersprang sie, und Tausende Splitter fielen klimpernd zu Boden. »In zwei Nächten, meine Schöne«, hörte sie es im Wind wispern. Als sie hinunterblickte, waren die Scherben verschwunden.

28
    Eine lange Nacht
    G
    10. Novembris, Heidelberg
    W ar dies das Ende?
    Gismara wusste sofort, was mit ihr geschehen war, als sie zu Bewusstsein kam – der Diakon hatte sie niedergeschlagen und eingesperrt. Sie beschloss, sich vorerst nicht zu bewegen, um in Ruhe nachdenken zu können. Wollte er sie beseitigen, damit sie nicht von seinem Fehltritt berichten konnte? Mit jeder Minute, die verging, nahmen die Schmerzen in ihrem Kopf zu. Für einen Priester hatte er kräftig zugeschlagen. Sie hätte nicht gedacht, dass er einer dieser Männer ist, die Frauen Gewalt antun, selbst wenn es Hexen waren. Allerdings war Menschenkenntnis noch nie ihre Stärke gewesen.
    Sie öffnete die Lider einen Spaltbreit und sah dicke Holzbalken, die eine Art Höhle stützten. Das Licht von Fackeln oder Kerzen erhellte den Raum. Sie schloss die Augen wieder. Sie wollte nicht riskieren, dass er bemerkte, dass sie wach war. Ganz leicht hob sie einen Arm und einen Fuß. Sie spürte Gewichte, aber keine Ketten, die ihr ins Fleisch schneiden könnten.
    Was hatte er mit ihr vor? Gehörte er zu denen, die glaubten, ihrem Gott zu gefallen, wenn sie Hexen zu Tode folterten? Eine altbekannte Wut kochte in ihr hoch. Sie hatte ihr Leben den Menschen gewidmet in dem Bemühen, ihr großes Vergehen zu sühnen. Und dennoch sollte sie nun durch Menschenhand sterben? Mit jedem Atemzug holte sie die Gewissheit ein, dass sie diese Nacht nicht überleben würde. Es war so leichtfertig von ihr gewesen, die Augen vor der Tatsache zu verschließen, dass Krieg zwischen Hexen und Menschen herrschte. Nun musste sie den Preis dafür zahlen.
    Sie sandte ein kurzes Gebet an Sinthgut, die Göttin, die sie gezeichnet hatte, dann öffnete sie die Augen. Das Licht war heller, als sie zuvor bemerkt hatte. Ein Stöhnen kam über ihre Lippen. Sie hob eine Hand, um sie schützend auf ihr Gesicht zu legen.
    » Das würde ich nicht tun«, drang die harte, raue Stimme des Diakons an ihr Ohr.
    Sie zögerte, aber nein, sie würde ihm nicht gehorchen. Wenn sie ihn genug erzürnte, tötete er sie vielleicht schnell. Entschlossen legte sie die Hand über ihre Augen und schrie vor Schmerzen auf, als sie spürte, wie sich Eisen in ihre Haut brannte. Entsetzt betrachte sie ihre Handgelenke. Eisenketten führten von der Wand zu ihren Armen und umschlossen sie mit dicken Schellen. Einzig ein dünner Stofflappen trennte ihre empfindliche Haut von dem Metall. Der Mistkerl musste Erfahrung haben. Wie viele ihrer Schwestern hatte er bereits getötet? Hasserfüllt starrte sie ihn an.
    Silas wusste, dass die Hexe erwacht war, als ihr Atem einen Moment aussetzte. Er hatte dafür gesorgt, dass sie lange genug ohnmächtig blieb, um sie in einen verlassenen Stollen zu bringen. Er lag etwas außerhalb von Heidelberg und war dazu genutzt worden, Mangan abzubauen. Außerdem hatte er Zeit gehabt, seine Werkzeuge zu holen. Er ließ ihr einen Moment, um sich zu orientieren. Sie sollte nicht zu leicht aufgeben, ihre Strafe nicht zu sehr verkürzen. Noch nie zuvor hatte er eine Hexe gehasst. Es war seine Aufgabe, sie zu töten, die Menschen von der bösartigen Brut zu befreien, aber noch nie hatte er sich auf die Folter und ihren Tod gefreut. Zuerst hatten ihn Zweifel beherrscht, doch mit eisernem Willen unterdrückte er sie nun. Mit unschuldigen Frauen, die der Zauberei aus niederen Motiven beschuldigt wurden, verspürte er Mitleid. Wahre Hexen hingegen waren gefährliche Kreaturen, die vor keiner Schandtat zurückschreckten. Wenn nicht sie, wer sonst sollte einen Priester töten wollen? Das Biest hatte ihn erpresst und getäuscht, nun würde sie für ihre Vergehen sterben, aber nicht bevor sie ihm nicht die Gründe für ihre Tat dargelegt hatte.
    Er hatte genug Fackeln und Kerzen mitgebracht, um einige Tage in dem Raum verbringen zu können. Bergleute hatten einen mehrere hundert Schritt langen Stollen in den Berg getrieben, der sich ab und an zu großen Gewölben verbreiterte. Dicke, schwarz angelaufene Deckenbalken verhinderten, dass das Erdreich sie unter sich begrub. Sie befanden sich tief im Inneren des Berges, sodass kein Lichtschein, kein Klagelaut nach draußen dringen

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