Der Kraehenturm
leistete keinen ernsthaften Widerstand. Auch wenn eine gefesselte Incantatrix ohne ihre Sprüche, magischen Tinkturen und Pulver vergleichsweise harmlos war, war das zu einfach. Er musste auf der Hut sein.
Silas nahm ein kleines Messer und trat an die Hexe heran. Dann besann er sich eines Besseren, legte die Klinge zur Seite und zerriss mit einem kräftigen Ruck ihren Rock.
Sofort war sie hellwach und presste ihre Schenkel aneinander. Das Entsetzen in ihren Augen ließ ihn zusammenzucken. Glaubte sie wirklich, dass er sie vergewaltigen würde? Silas ballte die Fäuste. Er sollte sich freuen, dass sie das erwartete. Je mehr Angst sie verspürte, desto besser. Dennoch fühlte er sich elend bei dem Gedanken. Er wurde zu alt für diesen Job.
Seufzend setzte er sich neben sie. »Sagt mir, was Ihr wisst. Dann werde ich Euch nicht länger quälen.« Er las in ihren Augen, dass sie um ihren bevorstehenden Tod wusste. Wen schützte sie, dass sie so verbissen schwieg?
»Ich sagte Euch bereits die Wahrheit, doch Ihr wollt sie nicht glauben. Ich habe Zacharas nicht getötet.«
»Was sonst sollte eine Hexe mit ihm, einem Diakon der heiligen katholischen Kirche, zu tun haben?«
»Nicht alle sind heuchlerischer Abschaum wie Ihr, der seine Freude an der Misshandlung von Frauen hinter göttlichem Geschwafel verbirgt.«
Das hatte gesessen. So kam er nicht weiter. Silas hasste es zu foltern. Nichts ging über einen ehrlichen Kampf von Angesicht zu Angesicht. Er brauchte eine andere Strategie, bevor sie seinen Unwillen erkannte und ausnutzte. »Warum befandet Ihr Euch an seinem Grab?«
Die Hexe schwieg. Sie hatte erneut die Augen geschlossen und lag friedlich auf dem Tisch. Wären ihre Arme nicht von zahlreichen Wunden gekennzeichnet und von Blut bedeckt, hätte man glauben können, sie schliefe.
In den nächsten Stunden war sich der Hexenjäger nicht sicher, wer der Peiniger und wer das Opfer war. Gismara ertrug jegliche Qual, ohne ein einziges Wort zu verlieren, während Silas es zunehmend schwerer fiel, mit der Folterung fortzufahren oder, wie er sich eingestehen musste, richtig zu beginnen. Bisher waren ihre Wunden oberflächlich, er konnte sich einfach nicht überwinden zu den härteren Methoden, die mit ihrem qualvollen Tod enden würden, überzugehen. Immer wieder rief er sich ins Gedächtnis, dass sie Schuld am Tod seines Bruders trug, aber Bilder ihrer gemeinsamen Nacht – ihr schlanker Körper, der sich ihm entgegenbog, ihr weiches, duftendes Haar – überlagerten dieses
Wissen.
»Warum liegt Euch so viel an Zacharas?«, stöhnte sie, als er eine Eisennadel in ihre Fußsohle trieb.
»Er war ein Mann Gottes.« Selbst in der Verkleidung eines Priesters wollte er sich für diese Worte auf die Zunge beißen. Er musste endlich den Mörder finden, um diese elende Maskerade zu beenden. »Wenn Ihr mir sagt, wer ihn getötet hat, lasse ich Euch laufen.«
»Ihr wisst ebenso gut wie ich, dass Ihr das niemals tun werdet oder könnt«, lachte Gismara.
Für einen Moment herrschte Stille. Silas fuhr mit den Fingern über die eisernen Zangen, mit denen es ein Leichtes gewesen wäre, ihr hübsches Gesicht zu entstellen. Sollte er sie einfach töten? Sich der Hoffnung hingeben, dass er sich täuschte und sie die alleinige Mörderin seines Bruders war? Eine verdammte Hexe lag vor ihm, und er kämpfte mit seinen Gefühlen!
Silas zog die Eisennadel aus ihrem Fuß und strich mit ihr so leicht über Gismaras blasses Bein, dass sie eine Spur aus Rauch hinterließ. Er war es Zacharas schuldig, nicht so schnell aufzugeben.
Gismara bemerkte die Veränderung, die in dem Priester vorging. Sie wusste nicht, warum, aber er hielt sich zurück. Nicht ein Bruchteil seiner Folterinstrumente war bisher zum Einsatz gekommen. Hatte der Diakon festgestellt, dass Foltern nicht so einfach war, wie man sich das vorstellte? Inzwischen hatte sie der Finsternis ausreichend Energie abgezogen, doch ihr fehlte die Konzentration und Kraft, sie auch zu benutzen. Obwohl sie sich bemühte, es sich nicht anmerken zu lassen, quälten die Schmerzen sie sehr. Die Löcher in ihrer Haut, in denen Rückstände von Eisen verblieben waren, glichen brennenden Kratern in ihrem Fleisch, und ihre Augen brannten von den zurückgehaltenen Tränen. Dennoch kehrte allmählich ihre Zuversicht zurück. Die Saga hatte ihr einen Flammentod prophezeit und nicht, dass sie unter der Folter sterben würde. Der Priester war zögerlich und mit seiner Aufgabe im Unreinen. Vielleicht
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