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Der Kraehenturm

Der Kraehenturm

Titel: Der Kraehenturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Pflieger
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dasselbe kantige Kinn. Die neue Erkenntnis überwältigte sie, sodass sie die Beherrschung über ihre Magie verlor. Mit ihrem Schwinden kehrten Schmerzen und Schwäche in vielfacher Stärke zurück. Keuchend sank sie zu Boden.
    Silas stand vorsichtig auf und betrachtete die weinende Hexe. Die Nacht war anders verlaufen, als er geplant hatte. Was sollte er nun tun?

29
    Das Heidelberger Schloss
    G
    12. Novembris, Heidelberg
    C arissima näherte sich dem Schloss durch den Hortus Palatinus, den Garten, der auf vier Terrassen angelegt war und von vielen als das achte Weltwunder angesehen wurde. Im Sommer lag der Duft von Salbei und Thymian in der Luft, doch nun bestimmten Schnee und die kahlen Überreste von Laubbäumen das Bild.
    Verärgert betrachtete die Vampirin ihre Seidenpantoffeln, an denen Schlamm und Laub klebten. Sie war zum Schloss gelaufen, da sie den zahmen Pferden der Städte nicht traute und sie ihre vampirischen Schwarzwaldpferde in Dornfelde hatte zurücklassen müssen. Sie genoss es, von Hausdach zu Hausdach zu springen und den Wind an ihren Locken zerren zu spüren, dennoch ärgerte es sie, dass sich ihre Art in den Schatten verbergen musste.
    Die letzten Stunden hatte sie mit Nachforschungen über Tinuvet Avrax verbracht. Zuerst hatte sie nichts Auffälliges gefunden, aber dann war sie über ein Bild aus dem vergangenen Jahrhundert gestolpert, das einen Ball zeigte, auf dem ein Mann tanzte, der Avrax zum Verwechseln ähnlich sah. Wie alt mochte er sein, und vor allem, was war er?
    Während sie durch die mondbeschienene Anlage schlich, lauschte sie auf jedes verdächtige Geräusch. Über das Schloss waren zahlreiche Gerüchte und Sagen im Umlauf. Es war mehrfach zerstört, aber niemals wieder richtig hergestellt worden. Wann immer sich jemand an der Restaurierung versucht hatte, war ein Unglück geschehen. Zuletzt im Jahr 1764, als der Blitz zweimal hintereinander in den Saalbau einschlagen war und große Teile des Schlosses niedergebrannt hatte. Nur ein Fluch konnte Derartiges bewerkstelligen, munkelte das einfache Volk, während die Obrigkeit sich bemühte, die seltsamen Vorgänge zu ignorieren. Dennoch hatte der Kurfürst Karl Theodor nach dem letzten Vorfall seine Pläne zur Wiederherstellung des Schlosses aufgegeben.
    Carissima blickte zum Heiligenberg hinüber. Was auch immer hier hausen mochte, die Menschen Heidelbergs übersahen eine viel größere Bedrohung, die sich vor ihren Augen entwickelte. Sie wusste nicht, warum, aber die Anwesenheit der Craban, der magischen Krähen, beunruhigte sie. Diese Kreaturen waren ihr bereits bei ihrer Ankunft aufgefallen. Schwarze, gefiederte Vögel mit violetten Augen und einer ungewöhnlichen Intelligenz. Wo auch immer sie auftauchten, stand großes Leid bevor. Bisher hatte sich Carissima nicht in die Nähe des Heiligenbergs gewagt. Die Ruinen zweier Klöster standen auf seinem Gipfel, und trotz ihrer Unwissenheit machten die Menschen einen Bogen um diesen Ort. Man sprach von verschwundenen Kindern, angriffslustigen Tieren und einem Flüstern im Wind. Selbst Carissima fürchtete den Ort und wandte rasch den Blick ab.
    Sie verharrte einen Moment und betrachtete das Schloss. Im Mondlicht wirkte der rötliche Sandstein, aus dem es gebaut war, wie aus rostigen Nägeln geschmiedet. Mit seinen zahlreichen, ineinander verschachtelten Gebäuden und Türmen war es ein prunkvolles Symbol menschlicher Kunstfertigkeit. Die Vampirin bedauerte, zu seiner Blütezeit nicht in Heidelberg geweilt zu haben. Es musste ein Vergnügen gewesen sein, in den hellen Räumen zu wandeln, in die bei Nacht das Mondlicht fiel.
    Langsam ging sie auf dem Kiesweg weiter. Das Knirschen der Steine unter ihren Füßen besänftigte ihre Nervosität. Rasch versicherte sie sich, dass die Worge ihr gefolgt waren. Das Heidelberger Schloss war riesig. Woher sollte sie wissen, wo sie Avrax fand?
    Ein leises Lachen klang im Wind. Suchend blickte sie sich um. Als sie sich wieder umdrehte, stand der Gesuchte schon vor ihr. Mit einem Fauchen sprang sie zurück. Er grinste sie an.
    »So schreckhaft, meine Schöne?«
    Carissimas Augen funkelten. Sollte er doch jemand anderes verspotten. Ihre Fingernägel wuchsen zu scharfen Krallen heran. Sie machte einen Schritt nach vorne und schlug nach seinem Gesicht, doch ihre Klauen fanden nur glitzernden Glasstaub, den der Wind davontrug.
    Erneut erklang sein fast schon nervendes Lachen. »Ihr findet mich in der Grotte auf der Hauptterrasse.«
    Leise fluchend ging

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