Der Kraehenturm
hatte, bedeckte er sie mit Heu, tätschelte Mantikor und ging in sein Zimmer hinauf. Dort entzündete er sofort sämtliche Kerzen, Feuer und Lampen, um den Raum aufzuheizen. Der Heimritt ohne Mantel hatte ihn bis auf die Knochen durchfrieren lassen. Dann nahm er das Monstrorum Noctis und setzte sich mit einer Decke vor den Kamin. Er wusste, wo er zu suchen hatte, und fand nach wenigen Minuten den Abschnitt über die Wassergeborenen. »Menschenfresser«, murmelte er fröstelnd. Bei dem Gedanken, das junge Mädchen könnte einen Menschen töten und fressen, stieg Übelkeit in ihm hoch. »Uralte Rasse mit dem Wissen von Jahrtausenden.«
Eine Stunde später legte er sich ins Bett. Er wusste nun, was er zu tun hatte. Morgen Nacht würde er zum Neckar gehen und versuchen, die tote Nixe an ihre Artgenossinnen zurückzugeben. Vielleicht konnte er so etwas über diese eigentümliche Mordserie erfahren. Er hoffte nur, dass sie ihn nicht für den Mörder hielten.
31
Der Hufschmied
G
14. Novembris, Heidelberg
G ismara nahm ihre rote Maske ab, legte sie auf den kleinen Tisch und setzte sich betont gelassen auf einen Stuhl. Einzig der angespannte Zug um ihre Augen und die Art, wie sie Silas musterte, verrieten ihre innere Unruhe. Es war das erste Mal seit jener Nacht, in der sie vom Hexenjäger gefoltert worden war, dass sie ihn wiedersah.
»Keine Folterwerkzeuge?«, fragte sie spöttisch.
Silas zuckte zusammen. Trotz der dicken Schicht Schminke konnte er ihre dunklen Augenränder und Blutergüsse noch erkennen.
»Heute nicht«, erwiderte er bissig. »Was wollt Ihr?« Ihre Aufforderung, sie im Mäuseschwanz zu treffen, hatte ihn überrascht. Seit er sie als notdürftig verbundenes Häufchen Elend auf dem Kornmarkt abgesetzt hatte – sie weigerte sich, ihm ihre Adresse zu nennen –, hatte er sich bemüht, sie aus seinem Gedächtnis zu streichen.
»Wieso dachtet Ihr, ich wäre Zacharas’ Mörderin?«
»Ihr seid eine Hexe.«
»Und das genügte als Beweis meiner Schuld?«
»Überrascht Euch das?«
»Das sollte es wohl nicht«, erwiderte sie leise. »Wisst Ihr irgendetwas über den wahren Mörder?«
Silas lehnte sich zurück. »Wenn dem so wäre, warum sollte ich es Euch sagen?«
»Denkt Ihr nicht, dass Ihr mir das schuldet?«
Ganz Unrecht hatte sie damit nicht, musste Silas zugeben. In ihm wechselten sich die verschiedensten Gefühle ab. Auf der einen Seite empfand er Verachtung für sie, weil sie eine Hexe war. Seine Erfahrung hatte ihm gezeigt, dass man mit diesen zwar ab und an das Bett teilen konnte, aber vertrauen durfte man ihnen niemals. Auf der anderen fühlte er sich mit ihr verbunden, weil sie Zacharas’ Freundin gewesen war, das heißt, falls ihre Geschichte stimmte. Aber er musste einsehen, dass zu vieles dafürsprach. Zudem hatte er ihre Macht am eigenen Leib erfahren. Sie war gefährlich, und auch wenn sie jetzt äußerlich gelassen vor ihm saß, glaubte er ihr nicht, dass sie keinen Hass auf ihn verspürte. Dennoch wollte er weiterhin den Mörder seines Bruders finden, und das um jeden Preis.
»Wir könnten zusammenarbeiten, bis wir den Schuldigen gefunden haben.«
Gismara starrte ihn verblüfft an. »Ein Priester und eine Hexe?«
Silas hoffte, dass sie niemals herausbekommen würde, was er wirklich war – das konnte nur mit seinem oder ihrem Tod enden.
»Ich bin kein gewöhnlicher Priester, das solltet Ihr inzwischen begriffen haben.«
Sie wanderte unruhig im Zimmer auf und ab. »Ich habe Euch nicht gerufen, um mich mit Euch zu verbünden. Sagt mir, was Ihr wisst, und ich werde den Mörder töten.«
Der Hexenjäger lehnte sich gelassen zurück. »Nein, wenn es Euch nach Informationen verlangt«, er lächelte sie spöttisch an, »dann müsst Ihr den Preis bezahlen.«
Ihre Augen funkelten, als sie empört aufstand. »Niemals!«
Sie ist so wunderschön, wenn sie wütend ist. »Denkt an die Möglichkeiten, die sich bieten, falls wir das Wissen unserer beiden Welten vereinen. Die Chance, Zacharas’ Mörder zu fassen, wäre ungleich größer.« Und ich kann dich im Auge behalten.
Nach einer Weile der Stille drehte sie sich zu ihm um. »Nun gut, um Zacharas’ willen, aber unter zwei Bedingungen.«
»Die wären?« Nun wurde es interessant.
»Der Mörder wird sterben.«
Silas nickte. Immerhin bestand sie nicht darauf, dass sie ihn töten durfte.
»Alles, was bis dahin geschieht, wird mit dem Tod des Mörders vergessen sein. Ihr seid ein Priester, und ich bin eine Hexe – mehr nicht.«
Das
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