Der Kraehenturm
verdankte, andererseits konnte er ihm nicht verzeihen, ihn benutzt und verraten zu haben.
In der Karlsstraße Nummer 16 stand ein einfaches, kleines Steingebäude – eigentlich zu bescheiden und unscheinbar für Rabans Verhältnisse. Sobald ihn ein Diener hineingelassen hatte, stellte der junge Gelehrte fest, dass der äußere Schein täuschte. Goldene Lampen, weiche Teppiche und edles Holz bestimmten die Inneneinrichtung, die Icherios bewunderte, während er in die Bibliothek geführt wurde. Raban saß wie so oft mit einem Buch in der Hand vor dem Kaminfeuer.
»Wie schön, Euch zu sehen.« In seinem Blick lag eine Härte, die seine freundlichen Worte Lügen strafte.
»Was wünscht Ihr von mir?«
»Ihr habt Euch verändert.« Raban musterte ihn von oben bis unten. »Vor wenigen Wochen wärt Ihr noch nicht so forsch aufgetreten.«
»Die Schachfigur entwickelt ein Eigenleben.«
Raban runzelte die Brauen. »Bei all meinen Plänen wart Ihr nie nur ein Mittel zum Zweck. Ich dachte, Ihr wüsstet das.«
»Ich weiß nichts mehr. Ich vertraue niemandem. Das habe ich Euch zu verdanken.«
Raban wandte sich dem Diener zu. »Friedemar, bringt uns Tee und Gebäck.«
Icherios wollte ablehnen, aber er beschloss, seine Kräfte für die wichtigen Auseinandersetzungen aufzusparen.
»Setzt Euch bitte.« Sein ehemaliger Mentor zog einen Sessel herbei, sodass sie sich gegenübersitzen konnten, nur durch den kleinen Beistelltisch mit gläserner Platte getrennt.
»Wie geht es Euch?«
»Gut.« Dem jungen Gelehrten war nicht nach belanglosem Gerede zumute.
»So seht Ihr nicht aus. Gewinnt der Strigoi bereits Macht über Euren Verstand?«
Icherios blickte entsetzt auf und verfluchte sich innerlich für die Reaktion. Er musste lernen, seine Gefühle zu verbergen.
»Dachte ich es mir.« Raban nickte nachdenklich. »Dann sind die Berichte also wahr.«
»Was für Berichte?« Icherios hasste es, den Köder so bereitwillig zu schlucken.
»Ich erläutere es Euch, wenn Ihr mir Einblick in Eure bisherigen Experimente gewährt.«
»Da gibt es nichts zu sagen.«
»Ihr habt Euch noch nicht um ein Heilmittel bemüht?« Raban wirkte aufrichtig überrascht und entsetzt zugleich.
Der junge Gelehrte war froh, dass in diesem Moment Friedemar mit dem Tee und einem Tablett kleiner Kuchen zurückkehrte. Rasch nahm er sich einen und biss herzhaft hinein, um durch das Kauen Zeit zu gewinnen, doch irgendwann konnte er einer Antwort nicht länger ausweichen. »Ich habe mit dem Blut von Ratten experimentiert und es mit Maleficiums Blut verglichen, bin aber zu keinem Ergebnis gelangt.«
»Fehlen Euch die Mittel? Ich richte Euch ein Labor ein, in dem Ihr unbemerkt forschen kannst, ohne dass Ihr neugierige Mitglieder des Magistratum unangenehme Fragen stellen. Ich würde sogar Dred aus Karlsruhe kommen lassen, um Euch zu assistieren.«
Icherios lehnte sich in seinem Sessel zurück. »Von was für Berichten habt Ihr gesprochen?«
»In alten Überlieferungen der Vampire steht geschrieben, dass sich ein Mensch nach dem Biss langsam in einen Strigoi verwandelt, sobald er das erste Menschenfleisch gekostet hat. Sie erzählen von blutrünstigen Stimmen in ihren Gedanken und dem Verlangen nach Blut und Fleisch. Es wird davon ausgegangen, dass kurz nach der Infizierung eine Wandlung stattfindet, die mit zunehmendem Alter fortschreitet und im Tod ihren Abschluss findet.«
»Dann werde ich also langsam zum Monster?« Icherios fragte sich, ob Raban ihm die Wahrheit sagte oder ihn nur manipulierte. Aber woher sollte er von der Stimme und dem Verlangen wissen?
»Ihr seht, es gibt ohne Heilmittel kein Entkommen, wenn Ihr Eure sterbliche Seele retten wollt.«
»Und aus reiner Uneigennützigkeit stellt Ihr mir ein Labor zur Verfügung?«
»Natürlich nicht, aber ist es so verwerflich, sterben zu wollen? Könnt Ihr Euch vorstellen, wie es ist, jeden Morgen in dem Wissen zu erwachen, dass alle Freunde, die Familie und Eure Liebste schon vor langer Zeit gestorben sind. Könnt Ihr Euch vorstellen, wie es ist, nicht sterben zu können?«
Rabans Verzweiflung war echt. Daran bestand kein Zweifel, und irgendwie konnte er den alten Vampir sogar verstehen. Icherios stand auf. »Ich werde darüber nachdenken.«
»Lasst Euch nicht zu viel Zeit. Und seht Euch vor, mein Junge. Ich spüre eine Veränderung, die ich nicht genauer benennen kann, und sie hat ihren Ursprung in Heidelberg. Etwas geht hier vor.
Der junge Gelehrte nickte ihm kurz zu, bevor er die Bibliothek
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