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Der Kraehenturm

Der Kraehenturm

Titel: Der Kraehenturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Pflieger
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auf Mantikors Rücken zu schnallen. Auf seinem Weg zum Ne­ckarufer hatte er die schmalen Gassen gewählt, die abseits der Hauptwege lagen. Er wollte vermeiden, einem Nachtwächter zu begegnen.
    Endlich tauchte der Neckar vor ihm auf, der sich im gelben Mondlicht durch das Land fraß. Icherios’ Atem ging schnell. Schweiß perlte auf seiner Stirn. Die Berichte über Nixen, die fröhlich im Nass planschten, waren fromme Vorstellungen, die nichts mit der Wahrheit zu tun hatten. Böse Geschichten rankten sich um den Fluss. Menschen, die in seine Fluten fielen, verschwanden unauffindbar, und Mörder erfreuten sich an dem Umstand, dass auch Leichen selten an dessen Ufer geschwemmt wurden. Icherios wusste nun, dass die Nixen die Ursache dafür waren. Menschenfressende Mischwesen aus Fisch und Frau, die sich obendrein von Toten ernährten, hausten im Neckar und wandelten sich in der Finsternis des Neumonds zu jungen Frauen, die ahnungslosen Männern beiwohnten, um Kinder zu empfangen, die sie dann in den schwarzen Tiefen gebaren.
    Er erreichte das Ufer und ritt eine Weile parallel dazu, während er auf das Wasser hinausspähte. Als er sich sicher war, dass er sich weit genug von der Stadt entfernt hatte, saß er ab und zog die Leiche der Nixe vom Pferd. Er führte Mantikor etwas vom Fluss weg und band ihn an einen Baum. Schließlich wollte er nicht, dass das Tier als Futter für die Nixen endete.
    Anschließend ging er zu der Leiche zurück und wickelte sie aus dem Leinentuch. Wie sollte er es anstellen? Sie einfach ins Wasser gleiten lassen? Genügte es, wenn sie nur das Wasser berührte?
    Der junge Gelehrte faltete das Tuch, legte die Nixe darauf und zerrte sie ans Ufer. Dann zog er Mantel, Hose, Stiefel und Socken aus, sodass nur noch sein weißes Hemd seine dürren Beine umwehte. Danach nahm er die Leiche auf den Arm und watete mit ihr in das kühle Nass. Im Vergleich zu der eisigen Außentemperatur war das Wasser warm, feine Nebelschwaden stiegen von ihm empor. Vorsichtig ließ er die Leiche in den Neckar gleiten und hielt sie an den Händen fest. Sie trieb leicht an der Oberfläche, und ihre langen Haare glitten über ihr zartes Gesicht wie ein Schleier.
    Icherios stand eine Weile hilflos in den Fluten und achtete darauf, dass ihm die Strömung die Nixe nicht entriss. Die Kälte drang in seine Knochen; er fing an zu zittern, seine Zähne klapperten. Mit einem Mal fühlte er sich lächerlich, halb nackt im Winter im Fluss zu stehen und auf einen Kontakt zu mystischen, menschenfressenden Wesen zu hoffen. Er wollte sich gerade abwenden, als vor ihm ein Kopf aus dem Wasser auftauchte, dem der vollbusige Oberkörper einer Frau folgte. Das lange, schwarze Haar klebte an ihrem kantigen Gesicht, das durch die hellblaue Hautfarbe noch fremdartiger wirkte. Ihre Wangenknochen saßen noch höher als bei ihrer toten Artgenossin, und ihre schlitzförmigen Pupillen starrten ihn emotionslos an.
    »Gib sie mir.«
    Beim Sprechen entblößte sie ein Gebiss, das an einen Haifisch erinnerte: zwei Reihen scharfer, ineinandergreifender Zähne, die deutlich länger als bei dem Raubfisch waren. Der junge Gelehrte hegte keinen Zweifel, dass sie selbst einen Knochen innerhalb von Sekunden zermalmen konnten.
    Die Nixe war schwer zu verstehen. Ihre Stimme war zu tief für menschliches Empfinden, und die Worte wurden von eigentümlichen Zischlauten begleitet. Icherios ging einen Schritt auf sie zu, wobei er darauf achtete, dass die Leiche zwischen ihnen lag. Er wagte nicht, sie in der starken Strömung loszulassen. Kaum war er in ihrer Reichweite, tauchten drei weitere Nixen auf und nahmen sie ihm ab. Bevor er etwas sagen konnte, verschwanden sie in der Tiefe. Während das Wasser um seine Taille schwappte, war er sich der Gefahr, die von der tintenschwarzen Flut ausging, nur zu bewusst. Die erste Nixe wollte sich ebenfalls abwenden, da fasste Icherios all seinen Mut.
    »Warte.«
    Blitzschnell wie ein Reptil wendete sie sich um und schwamm an Icherios heran, bis ihre kalten Brüste nur wenige Zentimeter vor ihm in der Luft wippten. Eine eigentümliche, ringförmige Ausbeulung befand sich auf ihrem Brustbein, die er bei den anderen nicht gesehen hatte.
    »Was will es?«, fragte die Nixe.
    »Wer hat ihr das angetan? Warum hast du nicht gefragt, ob ich sie getötet habe?«
    Sie deutete mit einer Hand, zwischen deren Fingern grün­liche Schwimmhäute glänzten und deren Spitzen von scharfen Klauen gekrönt waren zur abnehmenden Mondsichel. »Sprechen

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