Der Kraehenturm
nicht zu bewegen. Er sah, wie sich sein Bruder auf dem Boden krümmte, seine Augen traten vor Schmerzen hervor. Es zerriss Silas das Herz, ihn so leiden zu sehen. Aber wo war Siebenklinge? War ihr ein Fehler unterlaufen?
»Auberlin«, hauchte die Hexe und fiel in Ohnmacht. Die Illusion verblasste, wurde vom Wind verzerrt und davongetragen. Der Hexenjäger hob Gismara auf und trug sie zu ihrem Bett. Das Zimmer strahlte so viel Weiblichkeit aus, dass es ihn fast schon erschreckte. Er fasste noch immer nicht, dass sie eine Hutmacherin war. Dann tunkte er einen Waschlappen in kaltes Wasser und strich ihr sanft über die Stirn. Kurz darauf erwachte sie unter leisem Stöhnen. »Das kann nicht sein. Ich muss einen Fehler gemacht haben. Auberlin darf nicht in die Angelegenheit verstrickt sein.«
»Erklär es mir«, verlangte Silas und setzte sich neben sie aufs Bett.
Gismara seufzte. »In Ordnung, du wirst es ohnehin herausfinden.« Dann begann sie, ihm in groben Zügen vom Ordo Occulto und dessen Arbeit zu berichten. »Auberlin ist der Leiter des Magistratum und mein Mentor«, schloss sie.
»Und der Mörder meines Bruders.«
Die Schultern der Hexe sackten herab. Tränen traten in ihre Augen. »Ich wusste es nicht. Bei der Anrufung bat ich, mir Zacharas’ Tod zu zeigen.« Sie holte aus einer kleinen Tasche in ihrem Rock das Signum Hieroglyphica Monas, den Siegelring des Ordo Occulto, und zeigte ihn Silas. »Da ich immer etwas von Auberlin bei mir trage, konnte der Zauber mir den wahren Mörder zeigen.« Sie erblasste. »Ich bin schuld an Zacharas Tod.«
»Was hast du getan?« Silas packte sie an ihren Oberarmen.
»Du tust mir weh«, presste sie zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.
Erst jetzt bemerkte der Hexenjäger, dass er seine Finger tief in ihr Fleisch gegraben hatte. Verlegen ließ er sie los. »Tut mir leid.«
Gismaras Hände fuhren gedankenverloren über ihre Bettdecke. »Zacharas war mit meiner Arbeit nicht einverstanden. Vielleicht hat er so Auberlins Zorn auf sich gezogen.«
Silas spürte Erleichterung. Mit dieser Enthüllung konnte er leben. Es wäre typisch für Zacharas, sich in Gefahr zu begeben in dem Bemühen, eine Seele retten zu wollen. Zart strich er über Gismaras Wange. Sie blickte ihn verwundert an.
»Schlaf, wir werden herausfinden, was hier gespielt wird.«
40
Am Bittersbrunnen
G
20. Novembris, Heidelberg
I cherios klopfte an die Tür von Hazechas Haus; seine Hände zitterten vor Aufregung. Er wusste nun, welche Frage er ihr stellen würde. Die Hohepriesterin der Hexen öffnete ihm persönlich und schenkte ihm ein warmes Lächeln, das ihm den Atem raubte. »Ich habe dich bereits erwartet.«
Der junge Gelehrte fragte gar nicht erst, woher sie von seinem Kommen gewusst hatte. Sie führte ihn in einen Raum, der ganz in Grün gehalten war, mit Tapeten aus tannengrünem Leinen und eleganten Kirschholzstühlen, die mit weißem Samt bezogen waren, auf dem Farnblätter rankten. Auf einem runden Tisch stand eine Vase mit einem Strauß blutroter Rosen.
»Setz dich«, forderte sie ihn auf und ließ sich im Schneidersitz auf einem der Stühle nieder. Sie trug ein burgunderfarbenes, mit goldenen Blumen besticktes Kleid, das ihre atemberaubende Schönheit nur unterstrich. »Und nun stell mir deine Frage.«
»Was ist der Bund?«
Hazecha runzelte ihre makellose Stirn. »Eine gute Frage, die ich dir jetzt nicht beantworten werde.«
Icherios konnte seine Enttäuschung nicht verbergen. »Dafür habe ich also mein Leben riskiert?«
Die Hohepriesterin lächelte. »Ich sage, nicht jetzt . Komm heute um Mitternacht zum Bittersbrunnen auf dem Heiligenberg.«
»Der Heiligenberg?«, krächzte der junge Gelehrte. Dort hatte er des Nachts die seltsamen Vögel kreisen sehen.
Hazecha starrte ihn aus unergründlichen, grünen Augen an. »Stimmt etwas nicht?«
Er fürchtete, sich lächerlich zu machen, trotzdem antwortete er. »Diese schrecklichen Krähen.«
»Die Craban?« Die Hohepriesterin lachte. »Sie sind harmlose kleine Biester, neugierig auf alles Menschliche.«
»Wo kommen sie her?«
»Ich werde es dir heute Nacht erklären.« Damit erhob sie sich und forderte Icherios auf zu gehen. Ihr Blick fiel auf seinen Schatten, der inzwischen bis zum Oberschenkel angefressen war, doch sie verlor kein Wort darüber.
Icherios ritt dicht an Mantikors Hals geschmiegt den schmalen Pfad zum Heiligenberg hinauf. Die tief hängenden Äste der Bäume peitschten angetrieben vom Wind gegen seinen Rücken.
Weitere Kostenlose Bücher