Der Kraehenturm
eines Vampirs oder das eines Ghouls? Er hob eine Hand hoch und inspizierte die dreckigen Fingernägel. Unter einem hing ein Stück dunkelgraues Fell. Icherios wurde blass. Es sah aus wie das von Franz! Auch die Verletzungen konnten von einer Werratte stammen, und die Fellfarbe stimmte genau überein. Der junge Gelehrte schüttelte sich. Das durfte nicht sein! Aber es passte alles zusammen. Franz kannte Vallentin, besaß Zugang zu den Archiven des Ordo Occulto und schlief auffällig viel. Ging er in diesen Zeiten seinen finsteren Geschäften nach?
Icherios hustete. Es roch nach Rauch. Er blickte sich um und sah eine dunkle Rauchschwade über den Boden wabern. Hastig stand er auf und eilte in den Hauptraum. Unter der Tür, die zum Haus führte, drang Qualm hervor. Es brannte! Jemand wollte wohl die Beweise vernichten! Das durfte er nicht zulassen! Er erinnerte sich, oben ein Rechnungsbuch gesehen zu haben, vielleicht fand er darin einen Hinweis. Icherios glaubte nicht, dass der Puppenmacher Vallentin aus eigenem Antrieb getötet hatte. Warum hätte er dazu nach Karlsruhe gehen sollen, wenn er es ebenso gut in Heidelberg hätte erledigen können?
Der junge Gelehrte riss sich ein Stück aus seinem Hemd, holte tief Luft und presste sich den Stofffetzen vor die Nase, bevor er die Tür zum Haus öffnete. Sofort drangen ihm dichte Rauschwaden entgegen, der rote Schein von Feuer erhellte die Treppe. Oben waren nur noch Flammen zu sehen. Trotzdem rannte Icherios hinauf. Hitze umhüllte ihn, das Gebälk krachte bereits. Das Feuer breitete sich viel zu schnell aus, es konnte keinen natürlichen Ursprung gehabt haben. Er blickte sich um und fand das noch unversehrte Rechnungsbuch auf einem Tisch liegend. Er wich den brennenden Stoffballen und den herunterfallenden Balken aus, sprang zu dem Tisch und packte das Buch. Hilflos suchte er nach einem Ausgang, die Tür stand bereits in Flammen, die Hitze nahm ständig zu. Es gab nur einen Ausweg: zurück in den Keller. Auf seiner Flucht stolperte er, stürzte die letzten Stufen hinunter und schlug mit dem Gesicht auf den schleimigen Boden. Jetzt durfte er nicht anhalten! Das Gebäude würde bald einstürzen und ihn unter sich begraben. Mit letzter Kraft, von Husten geschüttelt, rannte er nach draußen. Erste Rufe drangen durch die Nacht, Lichter flammten in den Nachbarhäusern auf. Ihm blieb nicht viel Zeit, um unentdeckt zu entkommen. Vorsichtig spähte er um die Ecke. Harrte der Brandstifter dort etwa noch aus, um sein Werk zu begutachten? Hatte er vielleicht nur auf den jungen Gelehrten gewartet, um ihn zusammen mit den Beweisen zu vernichten? Doch die Gasse lag leer vor ihm, sodass Icherios es wagte, sich zu Mantikor zu schleichen, den er einige Straßen weiter zurückgelassen hatte.
Zurück im Magistratum brachte er das Pferd in den Stall, rieb sich das Gesicht mit Schnee ab und huschte in sein Zimmer. Dort verriegelte er die Tür und schloss die Vorhänge, bevor er sich seiner stinkenden, dreckigen Kleider entledigte und sich notdürftig wusch. Anschließend setzte er sich mit dem Rechnungsbuch, das den Gestank von Rauch und Verwesung verströmte, an seinen Schreibtisch. Der Puppenmacher hatte nicht nur seine Verkäufe ordentlich aufgelistet, sondern weiter hinten über mehrere Seiten auch seine Morde. Das bewies eindeutig, dass Nispeth ein Auftragsmörder gewesen war. Fein säuberlich standen dort die Namen der Opfer, daneben die der Auftraggeber, gefolgt von der erhaltenen Bezahlung. Icherios fühlte erneut Übelkeit in sich aufsteigen, als er sah, dass Nispeth manchmal auch mit Leichen belohnt worden war. Mit zitternden Fingern fuhr er die Spalten entlang, bis er auf Vallentins Namen stieß. Als Kunde war Der Bund verzeichnet. Diese Organisation hatte zahlreiche weitere Morde bei Nispeth in Auftrag gegeben bis vor etwa einem halben Jahr. Icherios stiegen die Tränen in die Augen, als er den Lohn sah, den der Puppenmacher für Vallentins Tod erhalten hatte: zwei Leichen. Mehr war er nicht wert gewesen. Der junge Gelehrte schlug das Rechnungsbuch zu, verbarg es hinter einigen anderen Büchern im Regal und legte sich in sein Bett. Was war dieser Bund? In was war Vallentin da nur geraten?
Icherios zog die Vorhänge zur Seite und blickte hinaus. Noch herrschte tiefste Nacht, doch trotz seiner Erschütterung über die Erkenntnis, dass eine geheimnisvolle Organisation seinen besten Freund getötet hatte, und darüber, dass sein Schatten sich nach und nach auflöste, durfte er
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