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Der Kraehenturm

Der Kraehenturm

Titel: Der Kraehenturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Pflieger
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Zähneknirschend gestand sich Silas ein, dass er ihren täglichen Treffen inzwischen freudig entgegensah. Ihre spitzen Kommentare amüsierten ihn, und er bewunderte ihren Mut.
    »Es ist etwas blutig.« Er bedeutete Gismara, den Beutel zu öffnen.
    Vorsichtig löste sie die Schnüre und spähte hinein. Mit angewiderter Miene zog sie einen Schädel an den Haaren heraus und hielt ihn in die Höhe. »Wahrlich ein Geschenk, über das sich jede Dame freut. Wem gehörte dieses prachtvolle Exemplar einst?«
    »Darf ich vorstellen? Ninges Siebenklinge.«
    Gismaras Augen blitzten auf. »Ihr habt ihn einfach getötet? Ohne mich?«
    Silas grinste über ihre Empörung. Was für ein Weib! »Ich habe ihm einige Fragen gestellt, sehr nachdrücklich. Allerdings weigerte er sich, mit der Sprache rauszurücken. Schien ziemlich große Angst zu haben. Deshalb beschloss ich, es dir zu überlassen, die Wahrheit zu finden.«
    »Ich sagte, dass es gefährlich ist«, fauchte sie. »Was für ein Priester bist du eigentlich?«
    Das willst du nicht wissen. »Ein besonderer«, wich er aus.
    Gismara stopfte den Kopf zurück in die Tasche und wusch sich sorgfältig die Hände. »Ich werde das Ritual durchführen, aber nicht hier. Ich sage dir morgen, was ich herausgefunden habe.«
    »Nichts da. Ich komme mit.«
    »Warum? Traust du mir noch immer nicht?«
    »Sollte ich? Zudem solltest du nicht allein sein, wenn es so gefährlich ist.«
    »Ach, der männliche Beschützerinstinkt greift auch bei Hexen?«, spöttelte Gismara. Dann wurde sie ernst und blickte ihn lange prüfend an. »In Ordnung, komm mit in meine Wohnung, aber eine falsche Bewegung, und ich vernichte dich.«
    »Das hast du schon mal versucht.«
    Ein Schatten legte sich über ihr schönes Gesicht. Sofort bereute Silas seine Worte. Er hätte sie nicht an die Nacht erinnern sollen, in der er sie gefangen hatte. Es war eine schmerzhafte Erinnerung. Für sie beide.
    Gismara zeichnete mit Kreide eine große Spirale aus einem verschlungenen Netz weißer, roter, brauner und blauer Linien auf den Boden. Anschließend stellte sie in gleichmäßigem Abstand Kerzen auf die Linien und entzündete die Lichter, sodass ihr Wohnzimmer in einen warmen Glanz getaucht wurde. Sie hatte ihre Hutsammlung und Arbeitsmaterialien in die Küche verbannt, um über ausreichend Platz zu verfügen.
    Dann setzte sich die Hexe in die Mitte der Spirale und platzierte Siebenklinges Schädel vor ihren Füßen. Silas beobachtete sie mürrisch vom Türrahmen aus. Sie gestattete ihm nicht, näher zu kommen. Er umklammerte sein Kreuz, bereit, es jedem Angreifer in die Augen zu rammen. Hätte er nur sein Schwert dabei. Er fand es nicht richtig, dass sich eine Frau in Gefahr begab, vor allem nicht, solange er nur hilflos dabei zusehen konnte, selbst wenn es nur um eine Hexe ging. Er bezweifelte, dass er es noch fertigbrachte, sie zu töten.
    Gismara legte ihren Kopf in den Nacken und stimmte die komplexe Anrufung an. Sie brauchte ihre gesamte Kraft und die Unterstützung Sinthguts, wenn ihr das gelingen sollte. Normalerweisen wurde dazu ein Zusammenschluss mehrerer Hexen benötigt, mindestens eine Incantatrix und eine Saga mussten dabei sein. Da Sinthguts Segen ihr einige Fähigkeiten einer Wahrsagerin verliehen hatte, hoffte sie, dass sie das Ritual auch allein würde vollenden können. Sie wollte nicht darüber nachdenken, was geschah, wenn sie versagte. Die Geister konnten bösartig sein.
    Allmählich spürte sie, wie die Macht in sie einströmte. Sie konzentrierte sich voll und ganz auf ihr Ziel und verlor langsam das Gefühl für die eigene Identität, bis der Schmerz des Zaubers sich bei ihr einstellte.
    Silas’ Nackenhaare stellten sich auf, als Gismara langsam in die Luft schwebte. Normalerweise wäre das der Zeitpunkt gewesen, einen kräftigen Eisenspeer zu nehmen und ihn in die Hexe zu stoßen, nun stand er aber einfach da und hoffte darauf, dass ihr das Ritual gelang. Vielleicht gab es doch einen Gott, und er erlaubte sich gerade einen bösen Scherz mit ihm.
    Wind wehte in den Raum und schien sich in dessen Mitte zu sammeln. Dann fuhr er unter lautem Brausen durch die Haare der Hexe und löste sie, sodass sie als rote Flut um ihren Körper fielen. Die Kerzen flackerten wild. Nach und nach verdichtete sich der Wind zu einem wirbelnden Nebel, aus dem ein kleiner Mann mit weißen Haaren trat. Neben ihm erschien Zacharas, der schreiend auf die Knie fiel. Der Hexenjäger wollte ihm zu Hilfe eilen, doch er vermochte sich

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