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Der Kraehenturm

Der Kraehenturm

Titel: Der Kraehenturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Pflieger
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seltsame Positionierung der Fenster, über die Icherios sich zuvor gewundert hatte. Welch irrsinniger Architekt erschuf ein derartiges Gebäude? Und weshalb wirkte es von innen so viel größer als von außen?
    Franz deutete auf eine breite Holztreppe, auf der ein Läufer von der Farbe getrockneten Blutes lag. »Diese führt zum Sekundum. Wir befinden uns im Primum. Vom Sekundum wiederum gelangt man zum Tertium.«
    »Zu bitte was?«
    »Das Magistratum besteht aus drei Gebäuden, die miteinander verbunden sind und mit zahlreichen Zaubern belegt wurden.«
    Icherios stöhnte auf. Wie sollte er sich hier jemals zurechtfinden?
    »Das Sekundum bildet das Zentrum, von dem aus man auch in das Verlies gelangt.«
    »Verlies?« Icherios’ Stimme krächzte wie ein rostiges Scharnier.
    Franz lachte. »Unser Keller. Gismara, eine unserer Agentinnen, hat eine Vorliebe für dramatische Bezeichnungen. Trotzdem solltest du dich davon fernhalten, bis wir Zeit finden, dir das System zu erklären. Irgendjemand dachte, es wäre spaßig, ein Labyrinth als Keller zu haben.«
    »Warum nennt ihr es dann nicht Labyrinth?«
    »Es ist doch bloß der Keller.« Franz schüttelte den Kopf und ging auf die Tür hinten links zu. Dahinter lag eine Küche, die groß genug war, um einem halben Dutzend Köchen und ihren Gehilfen Platz zu bieten. Sie reichte bis in das Nachbargebäude und verfügte über eine gemauerte Zwischenwand, durch die ein hoher Bogen führte. Vermutlich die Trennwand zum anderen Haus. Zahlreiche Herde und Regale säumten die Wände, die Krönung war ein Stein­ofen von gewaltigem Ausmaß. Durch eine Reihe von Fenstern, die in Tropfenform gehalten waren, konnten Dämpfe und Rauch entweichen. Eine kleine Kammer diente als Vorratsraum, in dem Räucherschinken, Würste und getrocknete Kräuter von der Decke hingen. In der Mitte der Küche stand ein großer Tisch, umringt von acht Stühlen.
    »Der beste Ort auf der Welt neben dem Bett«, grinste Franz und schob sich eine weitere Nuss in den Mund. »Du kannst dich jederzeit bedienen. Zum Morgengrauen bereite ich das Frühstück, und sobald es dunkel wird, gibt es ein kräftiges Abendessen. Wenn du die Mahlzeiten verpasst, musst du dich selbst um deine Verpflegung kümmern. Kannst du kochen?«
    »Nein, aber ich bin gut im Essen.«
    Franz lachte und schnappte sich eine Pfanne. »Das sind mir die Liebsten.«
    Er entfachte das Feuer in einem Herd und setzte die Pfanne auf die Flammen. Dann holte er aus der Vorratskammer Wurst, Eier, eingelegte Tomaten, Pilze und ein Fass Butter und machte sich an die Zubereitung eines deftigen Rühreis. Während er arbeitete, herrschte Stille. Icherios setzte sich an den Tisch, lehnte sich zurück und schloss die Augen. Hier konnte er es aushalten.
    Als Franz fertig war, brachte er zwei Holzteller, Becher, Gabeln, ein frisches Brot und einen Krug schäumendes Bier. Mit geschickten Handgriffen verteilte er alles, stellte die brutzelnde Pfanne in die Mitte und schaufelte Icherios einen Berg Ei auf den Teller. Der Duft ließ dem jungen Gelehrten das Wasser im Mund zusammenlaufen. »Ihr scheint keinen Mangel zu leiden.«
    »Die Hungersnot traf Heidelberg nicht so sehr wie andere Städte. Zudem verfügt der Ordo Occulto über die Mittel, uns alles zu besorgen, was wir benötigen. Auberlin mag gutes Essen.«
    »Auberlin ist der Leiter des Magistratum?«
    Franz’ Lächeln erstarrte für einen Augenblick. »Ja, schau ihn dir an, und bilde dir dein eigenes Urteil. Er ist etwas speziell und wünscht nachts nicht gestört zu werden.«
    Auf einmal fiel Icherios auf, dass Franz noch nichts gegessen hatte. Der Bissen in seinem Mund fühlte sich plötzlich nicht mehr so gut an. Waren die Speisen vergiftet? Er zögerte und starrte das Stück Wurst an, das auf seiner Gabel hing.
    »Glaubst du, ich will dich vergiften?« Franz’ Worte klangen spöttisch, doch dem jungen Gelehrten entging der scharfe Ton nicht, der in ihnen mitschwang.
    »Ich genieße nur.«
    »Sicherlich, und Schweine lernen fliegen.« Der Mann schüttelte den Kopf. »Sieh, ich esse selbst.« Er spießte eine Tomate auf die Gabel und verspeiste sie genüsslich.
    »Es tut mir leid«, nuschelte Icherios. »Es ist alles so neu.«
    Franz blickte ihn eindringlich an, dann grinste er. »Noch grün hinter den Ohren.« Er seufzte. »Ich mag kein Gift im Essen. Die reinste Verschwendung. Nichts geht über ein ordentliches Blutvergießen, wenn man jemandem ein Ende bereiten will.«
    Icherios schluckte schwer. Die

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