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Der Kraehenturm

Der Kraehenturm

Titel: Der Kraehenturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Pflieger
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Höhe, die die darüber liegenden Galerien stützten. Unten befand sich ein von Steinmauern umgebener, huf­eisenförmiger Raum, den eine schlichte Tür verschloss.
    »Das ist das Badehaus«, erklärte Franz. »Benutze es, wann immer du willst. Aber sei vorsichtig, dass sich Gis nicht gerade darin rumtreibt. Sie ist ziemlich prüde.« Franz zwinkerte ihm verschmitzt zu. Dann führte er ihn über eine Treppe zur vierten Ebene und deutete auf die Tür zur Linken.
    »Dahinter befinden sich deine Räumlichkeiten. Ich lebe in der rechten Wohnung im obersten Stock.«
    Icherios nickte ihm lächelnd zu. »Danke.«
    Nachdem Franz gegangen war, öffnete er die Tür und bewunderte sein neues Heim. Es bestand aus drei Zimmern. Das Wohnzimmer verfügte über einen großen gemauerten Kamin, einen üppigen Sessel, einen Tisch mit Platz für sechs Personen und Bücherregale, in denen bereits Shakespeares Werke, Goethe und Lenz auf wissbegierige Leser warteten. Vom Wohnbereich führte eine schmale Tür in das Schlafzimmer, in dem ein schlichter hölzerner Schrank und ein gemütliches Bett den Mittelpunkt bildeten. Ein kleiner Kamin, neben dem ein Korb mit Holzscheiten stand, würde hier auch in kalten Nächten für ausreichend Wärme sorgen. Langsam ging Icherios in das Wohnzimmer zurück und öffnete vorsichtig eine hohe Tür, die leise schabend über den Boden glitt. Dahinter befand sich ein Arbeitsraum, von dem der junge Gelehrte sein ganzes Leben geträumt hatte. Ein großer Arbeitstisch in der Mitte dominierte das Zimmer. Regale für Bücher und Utensilien und eine lang gestreckte Arbeitsbank boten ihm genügend Platz für seine Studien und Experimente. Während die anderen Zimmer Fischgrätparkett und flauschige Teppiche aufwiesen, hatte man in dem Arbeitsbereich robuste Steinfliesen verlegt, sodass er sich keine Sorgen um Flecken und Brandgefahr machen musste. Die Wände bestanden aus Teakholz, das unempfindlich auf Hitze, die meisten Säuren und Laugen reagierte. Zudem gab es keine Vorhänge. Der perfekte Arbeitsraum.
    Er kehrte ins Wohnzimmer zurück und fiel in den bequemen Sessel. Seine Finger glitten über das glatte Leder. Er erfreute sich an dem Luxus, den er so lange vermisst hatte. Seine Familie war zwar reich, aber sein Vater Donak, ein erfolgreicher, aber ebenso skrupelloser Geschäftsmann, konnte nicht akzeptieren, dass sein jüngster Sohn nicht in seine Fußstapfen treten wollte, sondern sich den Wissenschaften zuwandte. Er hatte mit ihm gebrochen, sodass Icherios seitdem in Armut lebte. Seine finanzielle Situation hatte sich erst durch die Aufträge vom Ordo Occulto verbessert.
    Icherios fühlte sich wohl in seinen neuen Räumen. Die Aufregung der Fahrt war vergessen. Es schien, als ob seine Träume in Erfüllung gingen. Er blickte zum Fenster hinaus und bewunderte die Umrisse der Mondsichel hinter den aufziehenden Wolken.
    Einige Zeit später stand er auf und spähte in den Hof des Magistratum hinunter. Vor den Häusern auf der gegenüberliegenden Seite konnte er im düsteren Licht Wäscheständer, Tische und Stühle erkennen. Vor dem Magistratum stand hingegen nichts, als ob nie jemand dort hinausging. Er schlenderte in sein Schlafzimmer, zog sich aus, legte sich in das ungewohnt weiche Bett und kuschelte sich in die geblümte Bettwäsche. Wenige Minuten später war er eingeschlafen.
    Langsam öffnete Icherios die Augen und versuchte sich zu orientieren. Die Wolken, die vor dem Mond vorbeizogen, hinterließen ein sich ständig wechselndes Muster aus Licht und Schatten auf dem Boden. Es sah aus, als würden in jeder Ecke kleine graue Wesen herumtanzen.
    Ein Klopfen an seiner Zimmertür erinnerte ihn daran, dass er von eben diesem Geräusch geweckt worden war. Er stand auf und streckte sich. Unschlüssig wippte er auf den Zehen. Die Geister der Nacht wirkten so lebendig nach, dass er zögerte, die Tür zu öffnen. Er strich dem noch immer schläfrig zusammengerollten Maleficium über den Kopf. Das warme Fell unter seinen Fingern und das unwillige Fiepen beruhigten ihn.
    Das Klopfen erklang erneut. Diesmal ungeduldiger. Icherios holte tief Luft und öffnete die Tür. Erleichtert atmete er auf, als ihn Franz gut gelaunt angrinste, während er an einem leuchtend grünen Apfel nagte.
    »Guten Morgen, Grünschnabel! Auberlin erwartet dich.«
    »Um diese Zeit?« Icherios gähnte.
    »Wenn der Meister ruft … Außerdem muss ich das Frühstück zubereiten.«
    Icherios zog sich an, während sich Franz gemütlich in den

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