Der Kraehenturm
folgenden Minuten konzentrierte er sich aufs Essen. Franz schien damit zufrieden zu sein. Ihm schien nur wichtig, dass es dem jungen Mann schmeckte. Während er sich eine Tomatenscheibe aufspießte, beschloss Icherios, heimlich etwas von dem Essen für Maleficium abzuzweigen. Der Nager musste ebenfalls großen Hunger verspüren. Er spähte unauffällig zu seinen Koffern. Da bewegte sich etwas! Maleficium saß auf dem abgewetzten Lederkoffer, der die Bücher beherbergte, und hob witternd die Nase in die Luft. Der Gelehrte gab dem Tier ein Zeichen, sich wieder zu verstecken, aber sein kleiner Gefährte ignorierte seine Erziehung und trippelte auf ihn zu. Was sollte er tun? Franz wäre sicherlich nicht erfreut über eine Ratte in seiner Küche. Er musste das Tier schnell verschwinden lassen!
Er lehnte sich in seinem Stuhl zurück und seufzte wohlig. »Das war sehr gut.« Unauffällig streckte er dabei seinen Arm so weit dem Boden entgegen, dass der Nager an ihm heraufklettern konnte. Aber Maleficium hatte andere Pläne. Verzweifelt beobachtete Icherios, wie das Tier sich einem heruntergefallenen Stück Wurst zu Franz’ Füßen näherte. Er wollte gerade aufstehen, um den Mann abzulenken, als dieser einen Schrei ausstieß.
»Eine Ratte!«
Icherios sprang hastig auf, sodass sein Stuhl polternd umfiel, und stellte sich schützend vor Maleficium. »Tu ihm nichts!«
»Warum sollte ich dem Tier Leid zufügen?« Franz runzelte verwirrt die Stirn. »Es ist so eine anmutige Kreatur.«
Nun war es an dem jungen Gelehrten, verwirrt die Stirn zu runzeln. Als anmutig hätte er seine Ratte wahrlich niemals bezeichnet. Er pfiff leise, woraufhin der Nager mit der Wurst im Maul zu ihm rannte und auf die dargebotene Handfläche hüpfte.
»Das ist Maleficium, mein Haustier.«
Franz strahlte ihn an.
»Eine gute Wahl und solch ein kräftiges Tierchen.« Er trat an Maleficium heran und krabbelte ihn am Kopf. Die Ratte blickte ihn zuerst misstrauisch an, dann fuhr sie fort, das Wurststückchen zu verspeisen.
»Er scheint dich zu mögen.«
»Natürlich. Ratten sind intelligente Tiere und spüren, ob man sie mag. Aber das ist keine gewöhnliche Ratte. Seine Augen haben eine eigentümliche Farbe.«
Icherios schluckte. Was durfte er verraten? »Es gab einen Unfall bei einem Experiment.«
»Er ist doch wohl hoffentlich nicht blind?« Franz blickte ihn vorwurfsvoll an.
»Nein, nur seine Augenfarbe hat sich verändert, und er hat eine Vorliebe für Fleisch.«
»Nun gut, du solltest besser auf den Kleinen aufpassen.« Franz stellte die Teller ineinander und brachte sie zur Spüle. »Ich räume die Küche auf, und du gibst Maleficium noch etwas Wurst und Käse. Dann zeige ich dir dein Zimmer. Es liegt im Tertium. Direkt unter meinem.«
Icherios setzte sich und fütterte seinen kleinen Gefährten mit Leckereien, während Franz durch die Küche wirbelte. Das Klappern von Geschirr und Töpfen wirkte einschläfernd. Entspannt lehnte er sich zurück und schloss die Augen.
Nachdem Franz mit dem Aussehen der Küche zufrieden war, gingen sie gemeinsam in den zentralen Flur hinaus und stiegen die Treppe zum Sekundum hinauf. Franz öffnete die Tür, und Icherios verschlug es erneut den Atem. Über das gesamte untere Stockwerk erstreckte sich eine Bibliothek, in der sich Regal an Regal reihte, dicht gefüllt mit Büchern. Gemütliche Tische und Sessel luden zum Lesen ein. Oberhalb der Bibliothek, abgestützt durch mehrere dicke Holzbalken, ragten Räume in die Luft, zu denen wacklige Hängebrücken und gewundene Treppen führten. Vom Zentrum der Bibliothek schraubte sich eine eiserne Wendeltreppe in die Höhe und endete im Dachgeschoss, welches eine weitere Ebene bildete.
»Da oben lebt Auberlin.« Franz zeigte mit seinem dürren Zeigefinger an die Decke.
Um zum Tertium zu gelangen, mussten sie eine Hängebrücke überqueren. Icherios stolperte mehrmals auf dem schwankenden Untergrund und klammerte sich panisch mit einer Hand an dem Seil fest, das als Geländer diente, bis Franz der Geduldsfaden riss, er die Koffer schnappte und ihn vor sich herschob. Auf der anderen Seite angekommen, wischte sich der junge Gelehrte seine schweißnassen Hände an seiner Hose ab, bevor er durch die Tür ins Tertium trat und sich auf der mittleren von fünf galerieartigen Ebenen wiederfand, die abwechselnd in das Gebäude hineinragten. Von jeder Galerie führten Türen in die dahinter liegenden Wohnungen. Von der untersten Ebene ragten steinerne Säulen in die
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