Der Kraehenturm
die Wahrheit.«
»Ich wurde geschickt, um Medizin zu studieren und meine Ausbildung zum Agenten im Dienste des Ordo Occulto zu beginnen.«
Auberlin stieß pfeifend die Luft zwischen seinen spitzen Zähnen hervor.
Icherios suchte verzweifelt nach einem Ausweg. Sollte er wirklich eingestehen, dass er die Vorgänge im Magistratum im Auge behalten sollte?
»Ich wurde von Freyberg nur gewarnt, dass ich es aufgrund unserer Bekanntschaft nicht einfach hier haben würde.«
»Nun gut, für heute werde ich es darauf beruhen lassen. Doch lasst mich ebenfalls eine Warnung aussprechen: Hütet Euch vor Freyberg und seinen Ränken.«
Plötzlich erhellte sich das Gesicht des älteren Mannes, als ob ein anderer Mensch in ihn gefahren wäre.
»Ich habe aber auch eine erfreuliche Nachricht für Euch. Ihr könnt gleich heute Euer Studium aufnehmen.«
Auberlin schob Icherios einen Stapel Papiere, die mit offiziellen Siegeln versehen waren, hinüber.
»Findet Euch zur elften Stunde in der Domus Wilhelmiana ein. Im Südflügel befinden sich die Verwaltungsräume. Hier ist Euer Stundenplan.«
Auberlin reichte ihm einen dicht beschriebenen Zettel. »Ich habe veranlasst, dass Ihr bereits zum Hauptstudium zugelassen werdet. Macht uns keine Schande.« Er musterte ihn noch einmal gründlich. »Ihr dürft hier wohnen und müsst nicht wie die anderen Studenten in billigen Unterkünften leben. Dafür erwarte ich, dass Ihr Euer Bestes gebt. Wenn Ihr Fragen habt, könnt Ihr jederzeit zu mir kommen.«
Icherios überlegte, ob er sich nach Vallentin erkundigen sollte, aber eine innere Stimme warnte ihn davor. »Franz erwähnte, dass ich einen Schlüssel für das Gebäude erhalten würde?«
»Ich sehe, Ihr denkt mit.« Auberlin lächelte, schloss eine Schublade an seinem Schreibtisch auf und holte einen Schlüsselbund hervor. Erst jetzt fiel Icherios auf, dass die Tür zu Auberlins Arbeitszimmer im Gegensatz zu allen anderen, die er gesehen hatte, ein Schloss aufwies. War es eine spezielle Anfertigung? Immerhin hatte Franz behauptet, dass Schlösser hier nutzlos wären. Und warum vertraute Auberlin seinen eigenen Mitarbeitern nicht?
Icherios nahm die Schlüssel entgegen und dankte dem Leiter höflich, dann drängte sich ihm aber noch eine Frage auf: »Über wie viele Angestellte verfügt das Magistratum eigentlich?«
»Mit uns beiden sind es sieben, aber drei befinden sich derzeit im Ausland und werden in den nächsten Wochen nicht zurück erwartet. Ihr werdet Euch mit Franz, Gismara und mir vorerst begnügen müssen.«
»Ich freue mich auf meinen Aufenthalt.« Icherios war überrascht, als er bemerkte, dass er die Wahrheit sagte.
Auberlin nickte ihm zu. »Ihr gefallt mir. Ich kenne einige einflussreiche Männer an der Universität. Euer Hauptinteresse gilt der Medizin und Alchemie?«
»Ich beschäftige mich seit meiner Kindheit mit diesen Themengebieten.«
»Sehr gut, wir haben zu wenig Wissenschaftler in unseren Rängen. Gismaras und Franz’ Talente liegen in anderen Bereichen. Ich werde ein paar Freunde zum Essen einladen, die Euch bei Euren wissenschaftlichen Studien und Eurem allgemeinen Fortkommen behilflich sein können. Ihr werdet sie als angenehme Gesellschaft empfinden.«
»Vielen Dank,« stotterte Icherios überwältigt. Er war es nicht gewöhnt, dass man seine Studien ernst nahm und sogar unterstützte.
»Ihr dürft nun gehen. Franz wird Euch ein Frühstück bereiten und alles Weitere erläutern.«
Icherios reichte ihm die Hand, um sich zu verabschieden. Nachdem er die Tür hinter sich geschlossen hatte, holte er tief Luft. Wenn Freybergs Warnung nicht gewesen wäre, hätte er vor Freude einen Luftsprung gemacht. So misstraute er seinem Glück und war sich nicht sicher, was er von der Begegnung halten sollte.
6
Heidelberg
G
21. Octobris, Heidelberg
A deles Hufe klapperten im langsamen Rhythmus über das Pflaster. Silas ignorierte die grinsenden Gesichter, die ihn anstarrten, und das Getuschel, das er hören konnte. Ein Krieger auf einem Maultier. Er wusste, dass er sich damit der Lächerlichkeit preisgab, und doch hätte er Adele gegen kein Streitross auf der Welt eingetauscht. Er zog die Kapuze seines Mantels tiefer ins Gesicht und war erleichtert, als er vor einem lang gestreckten, zweistöckigen Haus mit angebautem Stall hielt. Er hasste es, Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Ein Schild schwankte im Wind, auf dem eine fette Maus mit überlangem Schwanz abgebildet war – das nicht sehr einfallsreiche Symbol des
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