Der Kraehenturm
Streit zwischen Auberlin und Freyberg hineinziehen.«
»Worum geht es in dem Streit?«
»Das weiß niemand, eine Frauengeschichte wird gemunkelt. Jedenfalls habe ich ihm noch geraten, sich für keine Seite zu entscheiden, aber er wollte nicht auf mich hören. Kurz darauf wurde er nach Karlsruhe zurückberufen, und ich habe ihn nicht mehr wiedergesehen. Ich hoffe, dass er trotz dieses Fehlers noch einige interessante Aufträge bekam.«
»Er starb direkt nach seiner Rückkehr.«
Franz blickte ihn einen Moment schweigend an.
»Gismara wartet, lass uns Karten spielen.«
Icherios hatte inzwischen gelernt, dass man Franz nicht mehr von einem einmal gefassten Plan abbringen konnte. Seufzend willigte er ein und ging zu seinem Zimmer, um Maleficium zu holen.
Als der junge Gelehrte seine Wohnung betrat, lag Maleficium auf seinem Kopfkissen. Ein wässriger Fleck breitete sich unter dessen Schnauze aus. Eine weitere Veränderung durch den Unsterblichkeitstrank – die Ratte sabberte im Schlaf. Trotzdem war Icherios froh, seinen kleinen Gefährten zu sehen. »Wenn du nur sprechen könntest«, murmelte er.
Das Tier öffnete die violett leuchtenden Augen, blinzelte ihn an und riss erwartungsvoll das Maul auf. Der junge Gelehrte lächelte, holte aus einer Dose ein Stück Trockenfleisch und gab es dem Nager. Dann wanderte er im Zimmer auf und ab. Sein Kopf schwirrte vor lauter offenen Fragen. Wer hatte Vallentin ermordet? Was ging im Ordo Occulto vor? Und wie konnte er sich von diesem Strigoi befreien? Viel zu viele Rätsel. Jedenfalls ging irgendetwas Seltsames in Heidelberg vor. Ein Frösteln lief Icherios’ Rücken hinab.
Als er die Küche betrat, verschlug es ihm bei Gismaras Anblick den Atem. Sie war eine hochgewachsene, zierliche Frau, deren enges Kleid aus dunkelgrünem Taft ihre schmale Taille betonte. Auf dem Kopf trug sie einen passenden extravaganten, kleinen Hut, der mit einem Band, in dem zwei Raubvogelfedern steckten, verziert war. Ihre kastanienfarbenen Haare, die im Feuerschein rötlich violett schimmerten, trug sie zu einer kunstvollen Frisur hochgesteckt, aus der einzelne, dicke Locken sich herausgestohlen hatten und das schmale, spitze Gesicht umspielten. Durch ihre blasse Haut schienen ihre opalblauen Augen regelrecht zu leuchten, während sie Icherios zugleich eiskalt musterte.
»Das ist also der Neuzugang?«
Der junge Gelehrte fühlte sich trotz der Wärme, die in der Küche herrschte, als wenn er in einen Eissturm geraten wäre. Franz sprang hilfsbereit auf.
»Ja, das ist Icherios Ceihn. Er macht sich ganz gut.«
»Ach ja, was hat er denn bisher geleistet?«
»Ich studiere Medizin.«
»Ein Student?« Sie lachte abfällig. »Nichts Besseres zu tun, als hinter Röcken herzurennen.«
Icherios errötete.
»Dachte ich es mir.« Ihre Augen verdunkelten sich. »Und was hat diese Ratte auf seiner Schulter zu suchen?«
»Lass den Jungen in Ruhe, Gis. Du verschreckst ihn sonst noch.«
»Irgendeiner muss es ja tun.« Sie lächelte Franz an, und mit einem Mal wirkte ihr Gesicht viel weicher und bekam einen zarten Glanz.
Franz spürte, dass der junge Gelehrte unkonzentriert war, und schob ihn zu einem Stuhl.
»Spielst du Pharo?«
Icherios verneinte. Sein Blick wanderte zwischen Gismara und Franz hin und her.
Mit einer beschwichtigenden Geste zu der blauäugigen Schönheit holte Franz tief Luft und erklärte Icherios die Regeln des aus Frankreich stammenden Kartenspiels, bei dem bis zu vier Spieler gegen die Bank spielten, die von Gismara übernommen wurde. Trotz seiner Nervosität lernte der junge Gelehrte schnell, doch Gismaras Geschick war unbezwingbar. Sie gewann Partie um Partie. Ihre Augen strahlten vor Freude. Nur wenn sie Icherios anblickte, verdüsterte sich ihre Miene. Er fragte sich, wie er sie verärgert hatte, oder ob sie von Natur aus so garstig zu Männern war.
Nach Freybergs außergewöhnlichem Aussehen und seinen Begegnungen mit Vampiren und Werwölfen überraschte es ihn, in Auberlin, Gismara und Franz augenscheinlich ganz normale Menschen vor sich zu haben. Aber was war ihre Aufgabe? Wo hielt sich Gismara die meiste Zeit über auf?
Der junge Gelehrte streckte sich und gähnte. Seine innere Unruhe ließ allmählich nach. Schläfrig blickte er nach draußen und beobachtete, wie die aufgehende Sonne den östlichen Himmel in rote Flammen tauchte.
Franz legte seine Karten zur Seite. »Nicht schummeln, ich setzte Wasser fürs Frühstück auf.«
Gismara erhob sich ebenfalls und trat an
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