Der Kraehenturm
Lohn.«
»Ich bin auch zu Fuß recht schnell.«
Franz lachte erneut auf. »Bei deinen langen Beinen glaube ich das gerne, aber du solltest nicht keuchend auf dem Boden liegen, falls wir heute Nacht einem zornigen Geist gegenübertreten sollten.« Er riss die Tür auf und schubste Icherios in den nach Dung und Leder riechenden Raum. »Dein Prachtstück nennt sich Mantikor und steht in der letzten Box.«
»Warum nicht Butterblume?«, murmelte Icherios, während er der Boxengasse nach hinten folgte. Er zählte fünf prächtige Pferde, die ihre Köpfe über die Türen hängten. Dann sah er Mantikor und wurde blass. Das Tier war riesig!
Franz lachte. »Keine Angst, er ist ein lieber Kerl.« Er öffnete die Box und holte einen stämmigen Fuchs mit dunkelbrauner Mähne und einem weißen Stern auf der Stirn heraus. »Ich sattle ihn für dich, und dann machen wir einen Ausritt.«
Icherios hob zu einem Protest an, doch als er in Mantikors dunkle Augen blickte, strahlten sie eine tiefe Ruhe und Sanftheit aus, die ihn seine Furcht vor Pferden vergessen ließ.
Sobald Franz mit Mantikor fertig war, ging er zu einem kleinen Apfelschimmel, den er ebenfalls sattelte.
Anschließend führten sie die Tiere hinaus und saßen auf. Trotz seiner Größe bereitete es Icherios Schwierigkeiten, auf Mantikors breiten Rücken zu klettern, sodass er mehrere Versuche benötigte, bis er oben saß. Dabei hörte er immer wieder Franz’ unterdrücktes Kichern, während dieser munter eine Nuss nach der anderen kaute. Schließlich war der junge Gelehrte bereit, und sie konnten loslegen. Sie ritten zum Wald am Fuße des Heidelberger Schlosses. Icherios gewöhnte sich schnell an den mächtigen Wallach. Es war ein friedliches Tier, das sich durch nichts aus der Ruhe bringen ließ. Allmählich fasste er Vertrauen und begann das Gefühl zu genießen, den kräftig arbeitenden Körper unter sich zu spüren. Bei ihrer Rückkehr ins Magistratum fühlte er sich für den Ritt zur Katharinenmühle bereit.
11
Leichenfund
G
28. Octobris, Heidelberg
G ott, der unser Herz erleuchtet, schenke dir die wahre Erkenntnis deiner Sünden und lasse dich Seine Barmherzigkeit spüren.« Silas musste bei diesen Worten ein Würgen unterdrücken. Wer war nur auf die hirnverbrannte Idee gekommen, ihn die Beichte abnehmen zu lassen? Ihm, dem Hexenjäger, brach in der Enge des Beichtstuhls der Schweiß aus. Nicht dass es ihn störte, die schmutzigen, kleinen Geheimnisse der Menschen zu teilen. Nein, das war schon in Ordnung. Es war gut zu wissen, dass der Bäcker seine Frau jeden Mittwoch mit einer Hure an der alten Brücke betrog, oder dass Felix von der Stadtwache seine diebischen Finger nicht unter Kontrolle hatte. Doch dieses heuchlerische Gebrabbel von Gott schlug ihm auf den Magen. Die Büßer mochten sich ja reumütig geben, dessen ungeachtet würde der Bäcker es kommenden Mittwoch wieder mit der Hure treiben und Felix den nächsten Händler um sein Geld erleichtern. Dann würden sie wieder in die Kirche kommen, ein paar Münzen spenden und glauben, alles wäre mit einem Dutzend Gebeten in Ordnung. Silas wusste zwar um seine eigenen Verfehlungen und Schwächen, aber immerhin hatte er den Mumm zu ihnen zu stehen.
»Hebe dich, Satan, von mir! Du bist mir ärgerlich; denn du meinst nicht, was göttlich, sondern was menschlich ist.« Silas hörte ein überraschtes Aufkeuchen. Er grinste. Wer hätte gedacht, dass er noch Verwendung für die unzähligen auswendig gelernten Bibelstellen haben würde? Der Mann, der gekommen war, um sein Gewissen zu beruhigen, versuchte durch das Gitter einen Blick auf sein Gesicht zu erhaschen. Silas senkte den Kopf.
»Wie kann ich dir helfen, mein Sohn?«
»In Demut und Reue bekenne ich meine Sünden. Meine letzte Beichte war vor acht Tagen.« Der Mann stockte kurz. »Ich habe meine Frau belogen und mich betrunken.«
Der Hexenjäger wartete darauf, dass der Mann fortfuhr. Er hatte ihn an seiner Stimme erkannt und wusste, dass dies nicht all seine Verfehlungen waren. Doch sein Gegenüber schwieg.
»Wer der Versuchung erliegt, sollte niemals sagen: Diese Versuchung kommt von Gott . Gott lässt sich nicht zum Bösen verführen, und er verleitet auch niemanden zur Sünde.« Silas räusperte sich. »Mein Sohn, hast du sonst noch etwas zu beichten?«
»Nein, Hochehrwürdiger Herr .«
Heuchlerischer Bastard! Selbst in der Beichte stand er nicht zu seinen Fehlern. Dabei hatte er ihn Abend für Abend volltrunken im Mäuseschwanz gesehen,
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