Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Kraehenturm

Der Kraehenturm

Titel: Der Kraehenturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Pflieger
Vom Netzwerk:
Rande wahrnahm. Sacht legte er ihm die Hand auf die aufgedunsene Brust und schloss die Augen. Eigentlich sollte ein echter Priester hier knien und ihm den letzten Segen geben. Zacharas hätte es so gewollt. Aber er würde verstehen, dass er seinen Mörder fangen musste. Er hatte immer alles verstanden. Silas wusste, dass es kein Unfall war. Sein Bruder war ein sehr bedachter und vorsichtiger Mensch gewesen. Niemals wäre er in den Fluss gefallen, wenn nicht jemand nachgeholfen hätte.
    Er stand wieder auf, und die Stadtwache bekreuzigte sich. Der Mann mit der Hakennase fasste Mut und fragte: »Was soll mit ihm geschehen?«
    Silas fühlte sich einen Moment hilflos. Was war in Heidelberg üblich? Begutachteten Universitätsärzte die Leiche?
    »Derselbe Ablauf, wie immer.«
    Der Mann nickte. »Wir bringen ihn zur Begutachtung in die Universität.«
    »Die Familie wünscht eine schnelle Beerdigung.« Er wusste, dass Adele alles andere als einverstanden damit wäre, aber er wollte Zacharas nicht ihren garstigen Klauen ausliefern. Sein Bruder hatte Heidelberg und die Kirche geliebt. Nun sollte er auch hier beerdigt werden ohne die heuchlerische Trauer seiner Mutter.
    Die Stadtwachen senkten demutsvoll den Kopf. »Wir werden es veranlassen.«
    Silas nickte ihnen zu und kämpfte sich wieder durch die Äste hindurch. Er musste so schnell wie möglich fort von diesem Ort.

12
    Die Mühlenhexe
    G
    28. Octobris, Heidelberg
    F ranz führte sie einen schmalen Pfad entlang, der durch die Ausläufer des Waldes dem Lauf des Neckars folgte. Zwischen den dicht stehenden Bäumen verlor Icherios den Mond aus den Augen. Einzig das Glitzern des Wassers gab ihm die Gewissheit, dass sie sich nicht in den Tiefen des Forstes verirrten. Trotz des Frostes, der Zweigen und Laub einen weißen Schimmer verlieh, rann dem jungen Gelehrten der Schweiß den Rücken hinunter. Starr blickte er in die Dunkelheit, beobachtete die Schatten, die überall lauerten. Die Stromschnellen glitzerten im Mondlicht, während hinter ihnen die finsteren, bewaldeten Hügel aufragten. Eine unheimliche Stille lag über dem Land, die nur vom Klappern der Hufe und dem gelegentlichen Schnauben der Pferde durchbrochen wurde. Icherios’ anfängliche Unsicherheit im Sattel wandelte sich in zögerliche Freude. Auch wenn er wusste, dass sein Hinterteil später schmerzen würde und seine Beine bereits jetzt schon protestierten, genoss er das Spiel von Mantikors Muskeln unter seinen Schenkeln. Der Wallach folgte Franz’ Schimmel, ohne dass er irgendwelcher Anweisungen bedurfte, und schielte nur ab und an zu Gismaras rassiger Fuchsstute hinüber.
    Schließlich tauchten vor ihnen die Umrisse einer alten, steinernen Wassermühle auf, deren Mühlrad sich leise quietschend gegen die Sperre auflehnte, die sie festhielt.
    Icherios trieb Mantikor an, um an Franz’ Seite zu reiten. »Warum steht die Mühle allein?«, flüsterte er.
    Franz zügelte seinen Hengst und deutete auf einige Felsen und Sträucher am Ufer. »Früher standen hier noch andere Häuser – das ist alles, was von ihnen übrig ist.«
    Der junge Gelehrte ritt ein Stück näher und erkannte, dass es sich um die Reste von steinernen Wänden und Kaminen handelte, die nach und nach von der Natur zurückerobert worden waren. Man hatte die Steine abgetragen, um neue Gebäude zu errichten.
    »Vor etwa einem Jahrhundert lag hier noch eine kleine Siedlung, die aber einst in einer einzigen Nacht niederbrannte. Seither ist jeder Versuch, sie erneut aufzubauen, gescheitert. Innerhalb eines Jahres brennt jedes Gebäude ab – nur die Mühle bleibt immer bestehen.«
    »Und trotzdem wird erst jetzt von einem Spuk gesprochen?«
    »Die Katharinenmühle stand fast zwei Jahrzehnte leer, bis Meister Dobaldius sie übernahm. Seither hat man keine neuen Häuser gebaut, sodass der Fluch in Vergessenheit geriet.«
    »Es gibt tatsächlich einen Fluch?«
    »Wie immer einzig durch die Verblendung der Männer verursacht«, schaltete sich Gismara ein. »Eine Frau wurde der Wasserprobe unterzogen und ertrank dabei. Allerdings hatten die Trottel tatsächlich eine echte Hexe gefangen, eine Maleficia, die sie noch mit ihren letzten Atemzügen verfluchte.«
    »Was ist eine Maleficia?«
    Gismara hob spöttisch eine Augenbraue. »Ich dachte, Ihr seid ein Gelehrter?«
    »Und kein Scharlatan, der sich mit Aberglauben beschäftigt«, gab Icherios schnippisch zurück.
    »Um die Kanzlei in Karlsruhe muss es schlecht bestellt sein, wenn sie uns solch einen

Weitere Kostenlose Bücher