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Der Kraehenturm

Der Kraehenturm

Titel: Der Kraehenturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Pflieger
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in jedem Arm eine Prostituierte. »Ich möchte, dass Ihr ein Vaterunser sprecht.«
    Silas schloss die Augen, während Grenalt Faßbinder routiniert das Gebet runterleierte.
    »Diese und alle meine Sünden tun mir von Herzen leid. Mein Jesus, Barmherzigkeit.«
    Silas schüttelte sich vor Ekel über diese Heuchelei. Trotzdem sprach er seinen Vers. »Ego te absolvo a peccatis tuis in nomine Patris et Filii et Spiritus sancti.« Er musste Zacharas zuliebe durchhalten.
    »Amen.«
    »Danket dem Herrn, denn er ist gütig.« Deshalb lässt er auch unschuldige Frauen in seinem Namen verbrennen.
    »Sein Erbarmen währt ewig.«
    »Der Herr hat dir die Sünden vergeben. Geh hin in Frieden.« Und gib dich deinen Lastern hin, solange du beim nächsten Mal genug Zaster bringst.
    Nachdem der heuchlerische Bastard den Beichtstuhl verlassen hatte, seufzte Silas auf. Das war der Letzte für den Tag. Einer mehr, und er hätte sich nicht länger beherrschen können. Ein leises Klopfen an der Tür ließ ihn auffahren. Nicht mal ein Augenblick der Ruhe war ihm in diesem Wespennest vergönnt. »Diakon Hohenweide?«
    Silas setzte sein freundlichstes Gesicht auf und öffnete die Tür. Vor ihm stand der feiste Augustus, aber dieses Mal wirkte er aufrichtig bestürzt. Er zog ihn in eine dunkle Ecke und flüsterte ihm ins Ohr.
    »Ihr müsst mit uns kommen. Wir haben Euren Vorgänger, Zacharas von Orvelsbach, gefunden. Er ist tot.«
    Silas war es nicht möglich, seine Bestürzung zu verbergen. Zitternd stützte er sich an der Wand ab. Er hatte es die ganze Zeit geahnt – sein Bruder war zu pflichtbewusst, um sein Amt einfach zurückzulassen –, doch die Gewissheit ließ sein sonst so hartes Herz brechen.
    August beobachtete ihn besorgt. »Es ehrt Euch, dass Euch der Verlust eines jungen Lebens so sehr berührt.«
    Silas hörte die Falschheit in den Worten des Messdieners. Wut staute sich in ihm auf. Nicht auf den fetten Ministranten, sondern auf die Welt, die ihm seinen Bruder nahm, sein letztes wahres Familienmitglied.
    »Hochwürden Kossa hat angeordnet, dass ihr Euch um den Leichnam und die Benachrichtigung der Familie kümmern sollt. Da Ihr von seinem Tod profitiert, schien es ihm nur angemessen.«
    Silas wollte August für diese Worte am liebsten die Nase mit seinen Fäusten ins Gehirn schmettern. Aber er musste sich beherrschen. Er musste Zacharas Mörder finden und ihn rächen. Auge um Auge, Zahn um Zahn. Manchmal verfügte die Bibel durchaus über Weisheit. Sollte eine Hexe ihre Finger im Spiel haben, würde sie sich die Inquisition herbeiwünschen, anstatt ihm ausgeliefert zu sein.
    Der Messdiener führte ihn hinunter zu den Neckarwiesen und deutete auf eine Gruppe von Trauerweiden, die mit ihren Ästen eine dichte Wand gewoben hatten.
    »Mir hat der Anblick gereicht. Ihr findet mich in der Kirche.«
    Silas atmete tief ein, bevor er auf die Bäume zuschritt. Aus dem Inneren des aus Zweigen gebildeten Kreises drangen gedämpfte Stimmen. Mit zitternden Fingern schob er die Äste auseinander und trat ein. Drei Männer der Stadtwache blickten ihn erwartungsvoll an. Auf dem Boden lag das, was von Zacharas übrig war. Er musste tagelang im Fluss getrieben sein; sein Fleisch war bläulich, aufgedunsen und an vielen Stellen angefressen. Von dem Gesicht war nur noch verwesendes Gewebe und Knochen zu erkennen. Eine Identifikation wäre nicht möglich gewesen, hätte er nicht die Robe eines Diakons und das silberne Kreuz getragen, das Silas ihm geschenkt hatte. Eine unfreiwillige Gabe eines seiner Opfer aus seinen Zeiten als gewöhnlicher Auftragsmörder. Zacharas wusste natürlich nichts von dessen Herkunft, aber Silas vermutete, dass sein Bruder es geahnt und es nur aus Liebe zu ihm angenommen hatte.
    Der Hexenjäger lehnte sich an den Stamm der Weide und verfluchte dabei seine Schwäche. Er wurde wirklich alt.
    »Geht es Euch gut, Hochehrwürden?« Ein hakennasiger Mann mit bläulich durchscheinenden Adern im Gesicht blickte ihn besorgt an. »Kein schöner Anblick. Er muss unvorsichtig gewesen und in den Fluss gefallen sein.«
    »Oder man brachte ihn um«, murmelte Silas.
    Die Stadtwache räusperte sich. »Niemand würde es wagen, Hand an einen Diener Gottes zu legen.«
    Die Naivität dieses Mannes nervte den Hexenjäger. Aber immerhin bedeutete das auch, dass er leicht zu manipulieren sein würde, versuchte Silas sich zu beruhigen. Er kniete sich neben die Leiche in das schlammige Ufer. Ein fauliger Gestank schlug ihm entgegen, den er nur am

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