Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Kraehenturm

Der Kraehenturm

Titel: Der Kraehenturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Pflieger
Vom Netzwerk:
könne er fast spüren, wie ein Paar Augen ihn im Blick hatten. Es war die Gegenwart von etwas Bösem. Hastig prägte er sich das Symbol und dessen Position ein, sprang auf Mantikors Rücken und trieb den Wallach zu einem schwerfälligen Galopp an, bis sie sich wieder auf beleuchteten Wegen befanden. Dann ließ er das Pferd in einen zügigen Schritt fallen und ritt zum Magistratum.

22
    An unsichtbaren Fäden
    G
    8. Novembris, Heidelberg
    I cherios saß Carissima auf ihrem Bett gegenüber. Hinter ihm lag ein eintöniger Tag an der Universität, an dem er sich vor lauter Fragen, die in seinem Kopf umherwirbelten, kaum auf die Vorlesungen hatte konzentrieren können. Die einzige Abwechslung hatte ihm ein Besuch bei einem Stadtbeamten in der Mittagspause geboten, der mit Marthes’ Familie verbandelt war. Es hatte ihm nur das Versprechen von drei Freibier gekostet, um dem jungen Mann diesen Gefallen abzuringen.
    Seitdem lag in seiner Jackentasche ein Zettel mit den Adressen von Frytz Grenalt und Bruno Gluwark. Er beabsichtigte, sich in den nächsten Tagen bei deren Angehörigen umzuhören, auch wenn er noch nicht wusste, wie er das anstellen sollte. Aber wenn das nur sein einziges Problem wäre. Er vermisste Vallentin und hatte ein schlechtes Gewissen, weil er immer noch nicht mehr über seinen Tod wusste.
    »Durch deine Grübeleien wird Vallentin auch nicht wieder zum Leben erweckt.« Die Vampirin fuhr ihm zart über die Wange.
    Icherios ließ sich zurückfallen und genoss die weiche Federung des Bettes. »Ich darf ihn nicht vergessen. Er war mein bester Freund.« Zumindest glaubte ich das.
    »Ich könnte versuchen, deine Erinnerungen an die Nacht, in der er starb, zu erwecken.«
    Der junge Gelehrte richtete sich auf. »Wie soll das gehen?« Eine Mischung aus Angst und Hoffnung durchflutete ihn. Auf der einen Seite fürchtete er zu erfahren, Vallentin ermordet zu haben, auf der anderen verlockte ihn der Gedanke, endlich die Wahrheit zu kennen und eventuell den Schuldigen zu finden. Aber würde er mit dem Wissen, seinen Freund getötet zu haben, leben können?
    »Du wurdest von einem Vampir gebissen.«
    Icherios’ Hand fuhr an seinen Hals. Die Einstiche der Zähne waren immer noch zu spüren, und bei seiner Berührung kehrte der ziehende Schmerz in seiner Kehle zurück.
    »Dadurch wird es einfacher«, erläuterte Carissima. »Du nimmst ein paar Schlucke von meinem Blut, wodurch eine Verbindung zwischen uns entsteht, mit deren Hilfe ich dich in deinen Erinnerungen zurückführen kann.«
    »Ich soll dein Blut trinken?« Icherios rückte von der wunderschönen Vampirfrau ab. »Ich bin doch kein Blutsau­ger.«
    »Das könnten wir ändern.« Carissima lachte. »Keine Angst, dir wird nichts passieren. Du müsstest dem Tode schon nahe sein, um durch Vampirblut eine Verwandlung zu erfahren.«
    »Und du besitzt dann die Kontrolle über meine Erinnerungen?«
    Die Vampirin nickte. »Ich würde alles, was du siehst, ebenfalls wahrnehmen. Du müsstest mir vertrauen.«
    »Woher weißt du, dass es funktioniert?«
    »Vampire vergessen nicht. Anders als Menschen können wir jederzeit in unseren Gedanken zurückreisen und alte Geschehnisse neu erleben. Die Verbindung verwandelt deine Erinnerungen für kurze Zeit in meine eigenen, und ich kann uns durch die Zeit zurückführen.«
    Der junge Gelehrte sank zurück und starrte gegen die Wand. Wollte er wirklich erfahren, was in jener Nacht geschehen war? Und war er bereit, dieses Wissen mit Carissima zu teilen? Er schloss die Augen. Ihm blieb keine andere Wahl. Er durfte die Möglichkeit herauszufinden, wer Vallentins Mörder war, nicht ungenutzt verstreichen lassen. »Ich mache es.«
    Die Vampirin stand auf, gab ihm einen Kuss und holte eine dünne Decke, die sie, nachdem sie Icherios zur Seite geschoben hatte, über dem Bett ausbreitete.
    »Ich mag keine Blutflecken auf meiner Wäsche«, erklärte sie.
    Dann zog sie ihr Kleid und Korsett aus, sodass sie nur ein weißes Unterkleid und Strümpfe trug, die ihre wohlgeformten Waden betonten. Sie setzte sich im Schneidersitz vor ihn.
    »Ich beiße mir ins Handgelenk, dann musst du trinken.«
    Der junge Gelehrte starrte sie entsetzt an. »Aus einer Wunde?«
    Die Vampirin lachte spöttisch. »Dachtest du, ich serviere es dir in einem Weinglas?«
    Icherios errötete. Er hatte versucht, nicht zu genau über den Vorgang nachzudenken.
    »Noch kannst du zurück«, bot sie ihm an.
    »Ich werde es schon schaffen.« Icherios sammelte sich und

Weitere Kostenlose Bücher