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Der Kraehenturm

Der Kraehenturm

Titel: Der Kraehenturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Pflieger
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ihn ernst an. »Nach all dem, was wir erlebt haben, glaubst du da wirklich, dass ich dich hereinlegen will?«
    »Du bist ein Vampir, für dich bin ich nichts weiter als ein Stück Vieh.« In dem Moment, in dem er die Worte ausgesprochen hatte, taten sie ihm schon leid, aber es war zu spät. Sie hingen wie ein feines, aber undurchdringliches Netz zwischen ihnen.«
    »In dem Fall kann ich dir nicht weiter helfen«, flüsterte Carissima. Es war das erste Mal, dass er sie so verletzt sah.
    Icherios wusste, dass er sich entschuldigen sollte, aber er brachte kein Wort über die Lippen. Er durchforstete seine Erinnerungen nach Hinweisen auf das Puppenmonster. Was brachten ihm alle Wissenschaften, wenn sie ihm für solche Wesen keine Erklärung boten?

23
    Eine böse Überraschung
    G
    8. Novembris, Heidelberg
    G ismara saß im Schneidersitz auf einem burgunderfarbenen Sitzkissen in Hazechas Wohnzimmer. Während die Hohepriesterin des Hexenzirkels Duftkerzen anzündete, bewunderte Gismara deren feuerrotes Haar, das in langen Locken bis auf ihren Rücken fiel. Im Gegensatz zu Gismaras schmaler Figur strahlte Hazechas Leib die reinste weibliche Verlockung aus. Gismara liebte ihre Mentorin von ganzem Herzen, wenn auch nicht so, wie Hazecha es sich wünschte.
    »Lydia macht gute Fortschritte in der Beherrschung ihrer Hörigen.« Hazecha setzte sich ihr gegenüber nieder. »Dennoch ist sie eine Gefahr für uns.«
    »Ich weiß.« Gismara hielt dem Blick aus den taubengrauen Augen stand. »Nichtsdestotrotz bereue ich nicht, sie aufgenommen zu haben. Wir müssen unseren Schwestern zeigen, dass es Wege gibt zu leben, ohne den Menschen zu schaden oder Rache an ihnen zu nehmen.«
    Lydia war eine Pythonissa, die Todesgeister und Verfaulte beherrschen kann. Neben den Maleficia fiel es diesen Hexen am schwersten, sich an die Welt der Menschen anzupassen. Gismara war trotz Hazechas Bedenken bereit gewesen, sie als dreizehntes Mitglied in ihren Zirkel aufzunehmen.
    »Rache«, sinnierte Hazecha. »Rache kann befreiend sein.«
    »Nur für einen Augenblick.«
    »Nichts ist von Dauer, Liebes.« Hazecha lächelte, wodurch der harte Zug um ihren Mund verblasste. »Ich habe einen Auftrag für dich.«
    Gismara zuckte zusammen, als sie sich an Auberlins Anordnung erinnerte. Nicht nur, dass er sie zwang, ihre Mentorin auszuspionieren, nun sollte sie diese auch noch bestehlen.
    »Wylhelm liegt im Sterben und verlangt nach dir.«
    »Warum ich? Wäre eine Hagzissa nicht besser, um ihn unter ihrem Bann seine Schmerzen vergessen zu lassen?«
    Hazecha beugte sich vor und strich sanft über Gismaras Wange. Ihre Hände waren so weich und warm.
    »Du weißt, dass das nicht sein Wunsch ist. Fürchte den Tod nicht, er ist Teil des Lebens.«
    Gismara nickte voller Unbehagen. Ihr machte es nichts aus, den Tod zu bringen, aber einen geliebten Menschen sterben zu sehen, brachte auch sie an ihre Grenzen.
    »Ich werde sofort aufbrechen.«
    Hazecha begleitete sie zur Tür und gab ihr einen Kuss auf die Stirn.
    »Gehe mit dem Segen der Göttinnen, meine Tochter.«
    »Sinthgut schütze dich.« Gismara versank in einem demütigen Knicks, befestigte ihren Hut auf dem Kopf und atmete tief durch, bevor sie hinausging.
    Hazechas weinrote Kutsche, die von vier Füchsen gezogen wurde, brachte sie zum Anwesen von Wylhelm von Dilak. Wylhelm stammte aus einer reichen Händlerfamilie, die ihren Reichtum bis ins Unmoralische gesteigert hatte. Raffiniert, wie er war, hatte er sich in eine verarmte Adelsfamilie eingeheiratet und den Titel übernommen. Böse Stimmen behaupteten, dass er bei dem frühen Tod seiner Gattin, die nach der Geburt des zweiten Sohnes starb, nachgeholfen hatte. Andere munkelten, dass ihm ihr Tod den letzten Rest Menschlichkeit geraubt hatte. Bei ihrer ersten Begegnung war Gismara auf einen alten, verbitterten Mann getroffen, der weder Kontakt zu seinen Söhnen noch der übrigen Familie pflegte. Seine Bitte, einen Konkurrenten mit Magie zu vernichten, lehnte sie ab. Trotzdem wurden sie Freunde, und nach und nach drang Gismara durch die harte Schale zum weichen Kern vor. Denn eigentlich war er ein verletzlicher Greis, der den Tod seiner Frau nicht verkraftet hatte und darunter litt, dass seine Söhne ihn für deren Tod verantwortlich machten. Die Hexe war sich bis zum heutigen Tag nicht sicher, ob Wylhelm sein Weib getötet hatte und deswegen an Schuldgefühlen krankte oder ob er sie aufrichtig geliebt hatte. Anfang des Jahres dann hatte der Husten begonnen, der

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