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Der Kraehenturm

Der Kraehenturm

Titel: Der Kraehenturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Pflieger
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Unterstand für die Pferde, zu dem eine schmale Gasse führte, befand sich auf der Rückseite des Haus. Icherios zögerte, den düsteren Durchgang zu betreten, in dem sich die Schatten verdächtig ballten. Mit langen Schritten stürmte er hindurch und wollte gerade erleichtert Luft holen, als sich ein Messer an seine Kehle legte und eine Hand auf seinen Mund presste.
    »Keinen Mucks, oder ich schlitze dir den Hals auf.«
    Die Hand löste sich, dann zerrte der Mann den jungen Gelehrten in eine dunkle Ecke und drückte ihn gegen die Wand. Die Klinge ritzte die weiche Haut an seiner Kehle, sodass ein feiner Blutfaden sein Genick hinunterrann und schließlich von seinem Hemd aufgesaugt wurde.
    »Hast du das Geld?«
    Icherios griff mit langsamen Bewegungen in seine Manteltasche, holte seinen Geldbeutel hervor und ließ ihn klimpern. Mit einem heftigen Ruck riss ihn der Mann an sich. Sein Atem roch nach Bier und Rauch.
    »Also, ich soll dir doch eine Frage beantworten.«
    Der junge Gelehrte war zu verwirrt, um sofort zu antworten.
    »Ich habe nicht die ganze Nacht Zeit.«
    War das Franz’ Informant? »Wo wurde die Leiche Bruno Gluwarks gefunden?«
    »In der Friedrichsgasse hinter einer Treppe.«
    »Und Frytz Grenalt?«
    »Die Abmachung war eine Frage.« Die Klinge entfernte sich von seiner Kehle. »Wenn du mir folgst, steckt das Messer in deiner Brust.« Mit einem Satz verschwand der Mann in der Dunkelheit.
    Der junge Gelehrte blieb einige Minuten an die Wand gelehnt stehen, dann hastete er zum Stall und drückte seinen Kopf an Mantikors Hals. Maleficium kam aus einer Satteltasche herausgekrabbelt und setzte sich auf seine Schulter. Nachdem er sich beruhigt hatte, beschloss er zu der Stelle zu reiten, an der die Leiche gefunden worden war. Er war ohnehin zu durcheinander, um schlafen zu können, und bei Tageslicht würde er zu viel Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Er zog eine Karte Heidelbergs, die Franz ihm in weiser Vorausicht gegeben hatte, aus seinem Mantel und entfaltete sie. Die Friedrichsgasse war nur wenige Straßen vom Mäuseschwanz entfernt.
    Während des Ritts legte Icherios eine Hand auf Mantikors Hals. Die Wärme des Pferdeleibs und Maleficiums Schnurrhaare, die seine Wange kitzelten, nahmen ihm die Angst vor den Schatten.
    Die Friedrichsgasse verdiente ihren hochtrabenden Namen nicht. Müll und Unrat bedeckten den Boden und dämpften Mantikors Schritte. Der junge Gelehrte musste die Beine einziehen, damit sie durch den schmalen Durchlass zwischen den Häusern passten. Der Schnee war hier zu einer schmierigen Masse geschmolzen, und ein betäubender Gestank nach Fäkalien schlug ihm entgegen. Die Haare an seinen Armen richteten sich auf.
    Nach einigen Metern wurde die Gasse etwas breiter, sodass Icherios wieder aufrecht reiten konnte. Am Ende des Weges erblickte er eine Treppe, die in das obere Stockwerk eines Lagerhauses hinaufführte, das offenbar seit langem nicht mehr genutzt wurde. Das musste der Ort sein, an dem die Leiche gefunden worden war.
    Der junge Gelehrte saß ab und zündete eine Laterne an. Dann schritt er, den Boden gründlich im Auge behaltend, zur Treppe. Was hatte Bruno Gluwark hier gewollt? Der Tote war gepflegt und gut genährt gewesen. Menschen wie er trieben sich für gewöhnlich nicht bei verlassenen Lagerhäusern herum. Icherios ging um die Treppe herum, aber auch da entdeckte er keinen Hinweis, sodass er sich entschloss, die eisüberzogenen Stufen hinaufzuklettern, wobei er sich an dem morschen Geländer festklammerte. Die Tür zum Gebäude war verschlossen und das Schloss zu rostig, um es unauffällig knacken zu können. Er stieg wieder hinunter und spähte durch ein vergittertes Fenster in das Innere. Die Dunkelheit erlaubte ihm nicht viel zu sehen, doch die Halle schien leer zu stehen. Was war hier geschehen? Wer hatte den Mann getötet? Und vor allem, warum hatte er keinen Schatten?
    Icherios führte Mantikor weiter, in der Hoffnung, auf der anderen Seite der Gasse einen Hinweis zu finden. Die Wolken lichteten sich für einen Moment. Und plötzlich – da war etwas! Der junge Gelehrte ging an der Hauswand einer weiteren Lagerhalle in die Knie. Jemand hatte ein handtellergroßes Muster aus kleinen Steinen gelegt: eine perfekte Doppelspirale.
    Was hatte es damit auf sich? Plötzlich fühlte Icherios sich wieder beobachtet. Rasch blickte er sich um, aber er konnte niemanden sehen. Ängstlich fuhr sein Blick von einem Schatten zum nächsten. Nichts bewegte sich, dennoch war ihm, als

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