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Der Kraehenturm

Der Kraehenturm

Titel: Der Kraehenturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Pflieger
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spüren. Es frustrierte ihn, dass sie so viel Macht über seinen Leib besaß. Zu schade, dass er sie früher oder später würde töten müssen. Ein Stich durchfuhr ihn, als er sich ihr Gesicht mit leblosen Augen vorstellte. Dann unterdrückte er einen leisen Seufzer. Er wurde zu weich für dieses Geschäft.
    Gismaras Begrüßung war förmlich, nur dem Totengräber schenkte sie ein kleines Lächeln, bevor sie Silas kühl an­starrte.
    »Fangt an.«
    Wie konnte sie es wagen, ihn herumzukommandieren? ­ Silas kämpfte um seine Selbstbeherrschung. Es wäre der Sache nicht dienlich, wenn er am Grab eines Toten einen Streit anfing. Mühsam quälte er sich durch das Bestattungsritual, welches zu lernen ihn die gesamte Nacht gekostet hatte. Bei jedem Versprecher spürte er Gismaras prüfenden Blick auf sich, sodass er beinah einen erleichterten Seufzer ausstieß, als er am Ende der Zeremonie eine Handvoll Erde auf den Sarg streute.
    Nun war die Hexe an der Reihe.
    »Sinthgut, Nachtwanderin, ich flehe dich an, stehe deiner Tochter bei.«
    Wer zur Hölle war Sinthgut? Bisher hatte er sich nicht weiter um den Glauben der Hexen gekümmert – um sie zu töten, musste er nur ihre Schwächen kennen –, trotzdem fühlte er Neugierde in sich aufkeimen. Kenne deinen Feind besser als dich selbst.
    Den Rest der Zeremonie verbrachte der Hexenjäger damit, Gismaras anmutige Bewegungen und ihren schlanken Körper zu bewundern. Der Totengräber, der für sein Schweigen eine hübsche Summe kassiert hatte, stand furchtsam am anderen Ende des Friedhofs. Nachdem die Hexe eine rubinrote Rose auf den Sarg gelegt hatte, gab Silas dem Totengräber ein Zeichen, das Grab zu schließen.
    »Sollte ich Euch noch einmal im Mäuseschwanz sehen, ist unsere Abmachung hinfällig.«
    Eiskaltes Biest. Es frustrierte den Hexenjäger, dass sie offensichtlich kein Verlangen nach ihm spürte.
    »Ich verstehe.«
    Sie blickte ihn erwartungsvoll an, aber auf seine Zustimmung würde sie bis in alle Ewigkeit warten können. Sein Schweigen beunruhigte sie offensichtlich, bis sie ihn schließlich wütend anfunkelte und sich verabschiedete. Silas widerstand der Versuchung, ihr hinterherzublicken, sondern konzentrierte sich darauf, dem Totengräber bei der Arbeit zuzuschauen. Nachdem das Grab geschlossen war, gab er dem Mann einen kurzen Segen und ging mit gesenktem Kopf, die Umgebung aus den Augenwinkeln im Blick haltend, über den Friedhof zu Zacharas’ Ruhestätte. Verborgen durch eine Reihe Büsche lag sie im Schatten einer Fichte. Er schritt gerade an einem hohen Grabmal vorbei, als er ein leises Schluchzen hörte. Vorsichtig spähte er dahinter, um sogleich erschreckt einzuatmen. Gismara stand am Grab seines Bruders! Das durfte nicht sein! War sie die Hexe, die er suchte? Hatte er womöglich mit Zacharas’ Mörderin geschlafen? Er widerstand seinem ersten Impuls, sich auf sie zu stürzen und zur Rede zu stellen. Sie war zu mächtig, also zog er sich in den Schatten eines Rhododendrons zurück und beobachtete vor Anspannung zitternd die Szene. In ihrer Hand hielt sie eine blaue Rose. Zacharas’ Lieblingsblume. Der Drang, zu ihr hinüberzuspringen und ihr den Hals umzudrehen, verstärkte sich. Aber er musste bedachter vorgehen. Schließlich zog er sich langsam zurück. Nicht weit von hier hatte er eine alte Gruft gesehen, deren Eichentür mit einer rostigen Eisenkette verschlossen war. Obwohl ihn die Gewandung eines Diakons behinderte, schlich Silas zu der Gruft und öffnete mithilfe eines als Kreuz getarnten Dietrichs, den ihm Oswald besorgt hatte, das Schloss an der Kette. Während er arbeitete, bemühte er sich, seine verwirrten Gefühle unter Kontrolle zu bringen. Trotz der albernen Robe musste er jetzt zum abgebrühten Hexenjäger werden, wenn er sich mit einer solch mächtigen Incantatrix anlegen wollte.
    Kurze Zeit später pirschte er sich an die Hexe heran. Mit geschlossenen Augen kniete sie vor Zacharas Grab. Hatte sie etwa ein schlechtes Gewissen? Wie auch immer, so war es einfacher für ihn. Er versteckte sich hinter einem Grabstein und wartete auf einen günstigen Moment. Dann sprang er vor und schlang ihr in einer flüssigen Bewegung die Eisenkette um den Hals, zog sie aber nicht an, sodass sie die empfindliche Haut nicht berührte, sondern auf ihrem Kleid lag. Bevor sie einen Schrei ausstoßen konnte, legte er seine andere Hand auf ihren Mund. »Wehrt Euch, und das Eisen brennt sich durch Euren hübschen Hals.«
    Sie blieb bewundernswert ruhig, nur

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