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Der Kraehenturm

Der Kraehenturm

Titel: Der Kraehenturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Pflieger
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ein leichtes Zittern zeugte von der Angst, die sie verspürte. Silas zog sie mit sich zu der Gruft. Eine Treppe führte in einen unterirdischen Raum, in dem sich mehrere Särge befanden. Eine Incantatrix konnte er hier zwar nicht lange unbeaufsichtigt lassen, aber für seine Zwecke würde es reichen.
    Kaum waren sie in das Gewölbe getreten, schlug er ihr hart mit der Faust gegen die Schläfe. Sie brach sofort zusammen. Wie leicht sie war, dachte er, als er sie auffing und an einer nicht so verdreckten Stelle auf den Boden legte. Er überprüfte ihren Puls. Sie lebte noch, würde aber lange genug ohnmächtig bleiben, dass er seine Werkzeuge holen konnte. Eisennadeln, -klammern und -ketten waren hervorragend geeignet, um aus widerspenstigen Hexen Informationen herauszuholen oder um ihnen ein qualvolles Ende zu bereiten. Er glaubte nicht, dass Gismara alleine gehandelt hatte, falls sie die Mörderin war. Dafür wirkte sie nicht korrupt genug. Er schwor sich, noch diese Nacht herausfinden, wer seinen Bruder getötet hatte und warum.

27
    Maskenball
    G
    10. Novembris, Heidelberg
    C arissima stieg aus der Kutsche, die sie zum Anwesen des Grafen von Ziesling gebracht hatte. Warmer Atem stieg aus den Nüstern der rassigen Schimmel, deren Fell im blassen Mondlicht wie die Haut von Geistern schimmerte. Die Vampirin fühlte sich sicher, wusste sie doch um die Anwesenheit der Worge, die ihr heimlich in den Schatten folgten. Sorgfältig glättete sie ihr Kleid aus dunkelblauer Seide, das mit in Streifen angeordneten goldenen Blumen bestickt war und sich üppig über ihrem Reifrock bauschte. Sie hatte es ausgewählt, weil seine Farbe das tiefe Blau ihrer Augen zur Geltung brachte. Um den Hals trug sie ein goldenes Band, an dem eine große, weiße Perle baumelte, die zu den in ihre hochgesteckten Haare eingeflochtenen Perlenschnüren passte. Sie war schön, und sie war sich dessen bewusst. Am heutigen Abend würde sie die Königin des Balls sein. Zu lange hatte sie auf Icherios gewartet. Zu lange hatte sie gehofft, er würde das Geschenk der Unsterblichkeit annehmen. Seine ständigen Zurückweisungen und der Ekel, den er ihr gegenüber empfand und trotz seiner Bemühungen nicht zu überspielen vermochte, verletzten sie. Sie, eine Vampirin, zurückgestoßen von einem Menschen! Es war an der Zeit, zu ihrem wahren Ich zurückzukehren und das Leben zu genießen. Trotzig reckte sie das Kinn vor. Sie war schließlich noch immer sehr begehrenswert.
    Ein Ziehen in ihrem Magen erinnerte sie daran, dass sie lange nichts mehr getrunken hatte. Zu sehr hatte sie sich von den Problemen des Jünglings ablenken lassen. Sie seufzte leise, während sie auf die goldverzierte Eingangstür zuschritt. Für einen Vampir war das Leben in einer Stadt schwieriger als in Dornfelde, wo ihr Bruder, der Fürst von Sohon, stets einen Vorrat an Menschen in den Verliesen hielt, damit sie jederzeit ihren Hunger stillen konnten. Sie schenkte dem Diener, der ihr die Tür öffnete und dabei in eine tiefe Verbeugung sank, ein atemberaubendes Lächeln und registrierte zufrieden, wie er beinah zu atmen vergaß. Dafür gab es hier mehr Abwechslung und reichlich Gelegenheit sich zu vergnügen.
    Das Anwesen des Grafen von Ziesling, einem Günstling des Kurfürsten, befand sich etwas außerhalb der Stadt auf einem riesigen, parkähnlichen Gelände. Das Gebäude sollte mit seinen weißen Säulen und Treppen an die römische Architektur erinnern. Das Thema setzte sich auch in dessen Innerem fort. Statuen von Göttern in Tuniken, römische Vasen und eine weitläufige Treppe prägten das Bild.
    Carissima hörte bereits den Klang von Musik und das Summen von Stimmen, als sie dem Diener die Einladung überreichte. Der süße Duft seines Blutes stieg ihr in die Nase, doch sie war auf edlere Beute aus.
    Mit einer weiteren Verbeugung forderte er sie auf, ihm zu folgen und führte sie durch einen Gang, dessen weißer Marmorboden im Schein zahlreicher Kerzen schimmerte. Sie war ganz bewusst erst zu später Stunde erschienen, um die Aufmerksamkeit aller Anwesenden zu haben, wenn sie den Raum betrat. Natürlich freute sie sich auch, dass Magarete von Hohenbach, eine blonde Giftspritze und umschwärmte Schönheit, nicht in Heidelberg weilte, sondern dem Kurfürsten in Mannheim schöne Augen machte. So war ihr allein die Bewunderung aller sicher. Obwohl sie natürlich nicht abgeneigt gewesen wäre, ihre Zähne in die Kehle ihrer unliebsamen Konkurrentin zu schlagen, wäre sie anwesend

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