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Der Kraehenturm

Der Kraehenturm

Titel: Der Kraehenturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Pflieger
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auf anderem Weg zu versuchen. »Ich suche Arbeit.«
    »Schlechte Zeiten.« Kunert schniefte und zog unter lautem Gepolter einen weiteren Hocker heran. »So setz dich doch hin.«
    Icherios blickte zweifelnd auf das dreibeinige Gestell. Nie im Leben würde es ihn tragen, aber er wollte nicht unhöflich sein. Langsam ließ er sich nieder, wobei er sich bemühte, den größten Teil seines Gewichts mit den Beinen abzufangen.
    »Der Herr ist gestorben. Die Erben streiten sich, und niemand weiß, wie es weitergehen soll.«
    Es tat dem jungen Gelehrten weh, die Trauer in der Stimme des Alten zu hören. »Was ist geschehen?«, fragte er leise.
    »Sturer Bock, voller Stolz auf seine Ahnen, bis er das Tageslicht fürchtete. Traute sich nur noch spät nachts aus dem Haus. Und als Nächstes fand man ihn tot unter der großen Eiche in der Nähe der alten Brücke. Was wollte er dort bei dem Pack?« Kunert wackelte mit dem Kopf.
    Das konnte kein Zufall sein! Icherios hielt aufgeregt die Luft an. Beide scheuten den Tag, beide wurden an seltsamen Orten gefunden.
    »Dann wird es hier bald keinen Hof mehr geben?«
    »Wer weiß.« Der Alte schnalzte mit der Zunge. »Der Junge will verkaufen, der Große nicht. Wird hoffentlich nicht entschieden, bevor Kunert die Radieschen von unten zählt. Arbeit findest du hier jedenfalls nicht.«
    Icherios hoffte, dass der Greis auf dem Hof bleiben durfte und nicht einsam in einem Straßengraben sterben musste.
    »Trotzdem danke«, murmelte er, doch der Alte war bereits wieder in das Putzen des Sattels versunken und bemerkte nicht, wie der junge Gelehrte den Stall verließ.
    Icherios wusste nicht, was er von seinen neuen Erkenntnissen halten sollte. Brachte jemand unbemerkt die Oberhäupter alteingesessener Familien um, nur um deren Grundstücke an sich reißen zu können? Doch bevor er sich weiter um diese Angelegenheit kümmern konnte, wollte er zuerst den Puppenmacher in der Nähe der Heiliggeistkirche besuchen.
    Es war bereits Nachmittag, die Schatten wurden länger, als er auf Mantikors Rücken aus dem Magistratum ritt. Er hatte sich umgezogen, da einem Tagelöhner niemand glauben würde, dass er willig und fähig war, ein kleines Vermögen für eine Puppe zu bezahlen. Die dünne Eisschicht, die das Pflaster nun bedeckte, glitzerte in der sinkenden Sonne, als er in die Straße des Puppenmachers einritt. Über dem Geschäft, das die untere Etage eines gepflegten Hauses aus gelbem Sandstein einnahm, hing ein schlichtes Holzschild. Gerwins feyne Puppen war darauf in geschwungenen Lettern zu lesen.
    Icherios betrat den Laden mit gemischten Gefühlen. Die Furcht vor dem Puppenmonster zerrte an seiner Seele.
    Im Inneren befanden sich zahlreiche Regale mit Stoffen, Stapel von Schnittmustern, Garnrollen in allen erdenklichen Farben und allerlei andere Dinge, die der Händler zur Ausübung seines Handwerks benötigte. Auf den Tischen warteten in einem bunten Reigen die verschiedensten Puppen mit bezaubernden, roten Kussmündern und weiten Kleidern auf mögliche Käufer. Icherios blickte in die kalten, toten Augen der Puppen; ein Schauer lief ihm den Rücken hinunter, fast spürte er wieder die Nadeln, die sich in seinen Körper bohrten.
    Der Puppenmacher war ein untersetzter Mann mit einem dicken Bauch, einem langen Bart und einer Halbglatze. Sein Gesicht strahlte genug Gutmütigkeit aus, um seine Kunden zum Kauf verführen zu können, während in seinen Augen ausreichend Geschäftssinn stand, um einen guten Handel zu betreiben.
    »Mein Name ist Sifridt Gerwin. Wie kann ich Ihnen helfen?«, fragte er zuvorkommend.
    Sie könnten mir sagen, ob Sie ein bösartiges Monster erschaffen haben, das meinen besten Freund ermordet hat. »Ich suche eine Puppe für ein achtjähriges Mädchen.«
    Die Ankündigung eines vielversprechenden Geschäfts ließ die Augen des Händlers erstrahlen. Als Verkäufer von Luxusgütern hatte er unter der Hungersnot besonders zu leiden. Brot brauchten die Menschen immer, auf Spielzeug und Dekoration hingegen konnten sie verzichten.
    »Wie Sie sehen, warten einige Schönheiten bereits auf ein neues Zuhause. Ich bin mir sicher, da wird eine passende für die Kleine dabei sein. Des Weiteren biete ich auch Maßanfertigungen an.«
    Icherios verkrampfte sich. Der Händler sprach von den Puppen, als seien es lebendige Wesen, dennoch zwang er sich zu einer anerkennenden Verbeugung seines Kopfes. »Sie haben großes Talent. Könnten Sie mich herumführen und die Entstehung der Puppen

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