Der kranke Gesunde
über seine Haltung, über seine Temperatur. Die Wahrnehmung des Körpers, die Aufnahme von »Informationen« aus dem Körper und die Verarbeitung dieser Informationen laufen nicht anders ab als bei anderen »Informationsverarbeitungen« auch, z. B. bei der Beobachtung der Natur oder anderer Menschen. Die Informationsverarbeitung besteht aus drei Teilen:
Die Psyche nimmt etwas wahr, z. B. Schmerz, Übelkeit, Hungergefühl oder Erregung.
Sie bewertet diese Wahrnehmung mehr oder weniger bewusst: Ist das positiv oder negativ, gefährlich oder ungefährlich? Ist es wichtig, dem nachzugehen?
Wenn etwas auffällig ist, sucht sie nach einer Erklärung: Warum ist das so und wer kann das wie verändern?
Was ist bei psychosomatischen Patienten anders?
In allen drei Teilen dieser Informationsverarbeitung unterscheiden sich psychosomatische Patienten von »Nichtpsychosomatikern«:
Ihre Psyche richtet die Aufmerksamkeit viel mehr auf den eigenen Körper. Sie nimmt also auch kleine Veränderungen viel sensibler wahr.
Was sie wahrnimmt, bewertet sie eher als negativ oder bedrohlich.
Die »Psychosomatikerpsyche « sucht stärker nach Erklärungen und denkt dabei vor allem an Krankheiten. Deshalb holt sie sich Erklärungen von Spezialisten für Krankheiten: von Ärzten.
Eine verhängnisvolle Folge dieser Art psychosomatischer intensiver Beobachtung ist nun allerdings die, dass diese sorgenvollen Beobachtungen oft genaudas hervorrufen, was sie beobachten. Zum Beispiel führt eine ängstliche Beobachtung des Herzkreislaufsystems durch die Psyche zur Aktivierung dieses Systems und zu stärkerem Herzklopfen. Wenn die Psyche gute Erklärungen hat, ist sie beruhigt. Wenn nicht, kann die Psyche der einen gut mit dem Unerklärlichen leben: »Was soll's?« Die anderen (und das sind die »Psychosomatiker«) sind beunruhigt.
Die »medizinische Herangehensweise« ist nicht immer sinnvoll
Man kann sich Martin, Oliver, Doris und Nora auch als eine Art von Wissenschaftlern vorstellen, die verstehen und erklären wollen, was da in ihnen vorgeht. Was die heute bevorzugte Art an Erklärungen betrifft, sind wir sehr vom medizinischen Fortschritt und von der Art, wie Mediziner über den Körper denken, geprägt: Was unangenehm ist, wird als »Symptom« einer möglichen »Krankheit« verstanden. Damit meint man, dass das Symptom so lange wiederkommt, bis die »eigentliche Krankheit« behandelt ist. Wenn Mediziner bei dieser Suche nach organischen Erkrankungen erfolglos sind, dieses grundsätzliche Denken »Jedem Symptom liegt eine Krankheit zugrunde« aber beibehalten wird, gibt es heute eine einfache Lösung. Man geht dann eben von einer anderen Art von Krankheit aus, für die andere Experten zuständig sind: von »psychischen Krankheiten«. Und um diese zu finden (oder manchmal auch: zu erfinden), gibt es wieder Experten.
Tipp
Wann werden Körperreaktionen zum Problem?
Körperreaktionen sind also nicht »an sich« Probleme, sondern werden für die Psyche zu solchen, wenn sie zum einen aufgrund ihrer Heftigkeit (z. B. bei Schmerz oder Lähmung) die Tätigkeit der Psyche beeinträchtigen oder wenn sie aus anderen Gründen von ihr sorgenvoll beobachtet und negativ bewertet werden. In beiden Fällen kann die Psyche nicht mehr wie gewohnt anderen Dingen nachgehen. Beispiel »Ohrensausen « (Tinnitus ): Menschen lernen oft, mit diesem zunächst für jeden äußerst belastenden Symptom gelassen umzugehen. Ihre Psyche wendet die Aufmerksamkeit davon ab. Das Geräusch im Ohr ist für die Psyche Normalität geworden.
Wovon hängt die Art unserer Körperbeobachtung ab?
Die Psyche muss in bestimmten Situationen den eigenen Körper beobachten, bewerten und im Störungsfall handeln. Man lernt das von Kindesbeinen an. Wer diesbezüglich ängstliche Eltern hatte, dessen Psyche hat eine ängstliche Körperbeobachtung gelernt. Wann, was und wie die Psyche ihren Körper beobachtet, hängt also nur zum Teil vom Zustand des Körpers ab. Zum anderen hängt das von der Geschichte der Psyche selbst ab: von ihren früheren Erfahrungen mit dem Körper. Von Erfahrungen damit, wie andere Menschen ihren Körper beobachtet haben. Martin beobachtet sein Herz mit anderen Augen, seit sein Kollege am Herzinfarkt gestorben ist.
Die Beziehung zwischen Psyche und Körper ist gestört
Man kann eine psychosomatische Erkrankung als Beziehungsstörung zwischen Körper und Seele verstehen. Die wichtigsten Merkmale dieser Beziehungsstörung sind:
Das Unverständnis, mit dem die
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