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Der Kreis der Dämmerung 01 - Das Jahrhundertkind

Titel: Der Kreis der Dämmerung 01 - Das Jahrhundertkind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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Verdacht
     
     
     
    Das Radiogerät war eine ziemlich diffizile Konstruktion. Man musste mit einem Draht auf dem Kristall des »Detektors« herumsuchen und gleichzeitig angestrengt in einen Kopfhörer lauschen. Wenn man Glück hatte, tauchte irgendwann aus dem Rauschen und Knistern das blecherne Klingen von Beethovens Klaviersonate Nr. 8 in c-Moll oder die gewichtige Stimme eines Nachrichtensprechers auf. Auch erfrischend neue Klänge aus den Vereinigten Staaten von Amerika kamen bisweilen über den Äther. Charly wusste bereits, dass man diesen Musikstil Jazz nannte.
    Die Ferien verlebte David wie gewöhnlich in Hannibal’s Court in London. Die meiste Zeit davon verbrachte er in der Reference Division des Britischen Museums. Unter den Millionen Büchern und Dokumenten in der Universität hatte er bisher keinen einzigen Anhaltspunkt finden können, der auf den Kreis der Dämmerung hinwies. Hier, in den verschiedenen Abteilungen des Museums, gab es ein Vielfaches von Büchern, Manuskripten und allem, was die menschliche Schreib- und Druckkunst jemals hervorgebracht hatte. Natürlich musste sich David – in Oxford ebenso wie im British Museum – bei seiner Suche an eine thematische Ordnung halten. Kein Mensch konnte wirklich so viele Schriften auch nur oberflächlich in Augenschein nehmen. Während er daher im Sommer 1922 ein um den anderen Tag erfolglos nach Spuren fahndete, die auf einen Circle of the Dawn, den Kreis der Dämmerung oder einen ähnlich benannten Geheimzirkel hindeuteten, beschlich ihn zunehmend der Verdacht seine Suche könnte an einem grundsätzlichen Denkfehler kranken.
    Am Montag, dem 14. August, verließ er nach dem Frühstück Hannibal’s Court durch die Hintertür, wie er es seit seiner Rückkehr aus dem Krieg fast immer tat. Es gab keinen David Camden mehr und er wollte alles tun, damit das auch so blieb. Selbst seine saloppe Kleidung, die er seitdem, sehr zu Sir Williams Missbehagen, trug, gehörte zu dieser Tarnung. David Newton war für jeden, der ihn sah, ein junger Mann aus dem gehobenen Mittelstand, aber niemals ein wohlhabender Earl.
    Bei der Rückkehr bemerkte David schon auf der Straße, dass etwas nicht stimmte. Bobbys hatten das gesamte Gebäude umstellt. Als David den Beamten am Hintereingang vorsichtig fragte, was dieser Aufwand zu bedeuten habe, wurde er sofort in Gewahrsam genommen.
    Wenig später sah er sich einem gewissen Lieutenant Hastings gegenüber, der im Salon von Hannibal’s Court ein provisorisches Verhörzentrum eingerichtet hatte. Erst hier erfuhr er den Grund für diesen ganzen Rummel: Sir William H. Rifkind war am Nachmittag tot in seinem Arbeitszimmer aufgefunden worden. Der Butler, der den Tee servieren wollte, hatte den Anwalt gefunden. David war starr vor Schreck. Die Vergangenheit hatte ihn eingeholt.
    »Wer sind Sie, Sir, und was hatten Sie am Hintereingang von Hannibal’s Court zu suchen?«, fragte der Lieutenant in amtlich korrektem Ton.
    David erklärte es ihm. Der junge Mann musste dabei auf den Beamten einen sichtlich verstörten Eindruck gemacht haben.
    Sein Name laute David Newton und Sir Rifkind sei früher sein Vormund gewesen. Wie das Dienstpersonal bestätigen könne, verbringe er regelmäßig die Ferien und außerdem auch so manches Wochenende im Hause des Anwalts. Sie hätten sich sehr nahe gestanden und er sei, gelinde gesagt, erschüttert über das, was er da gerade erfahren habe. Noch am Morgen hätten er und Sir Rifkind gemeinsam gefrühstückt und nichts hätte auf eine Beunruhigung oder Besorgnis des Hausherren hingewiesen.
    »Keine Anzeichen für eine Bedrohung?«, hakte Lieutenant Hastings nach.
    »Nein, nichts«, murmelte David benommen. »Befindet sich die Leiche Sir Rifkinds noch am Tatort und könnte ich sie noch einmal sehen, bevor sie von hier…?« Ihm versagte die Stimme.
    Der Scotland-Yard-Beamte war noch immer sehr zurückhaltend. Es mochte ja sein, dass David im Hause ein und aus ging. Die meisten Mörder taten das.
    Zu Davids Erleichterung wehten in diesem Moment die Fetzen eines heftigen Wortstreites in den Salon. Er erkannte die Stimme sofort.
    »Ich bin Bürger des Britischen Reiches und Commonwealth. Und außerdem der Tiger von Meghalaya. Ich bestehe darauf, dass Sie mich da reinlassen.«
    Lieutenant Hastings zog unwillig die Augenbrauen zusammen und rief mit seiner leicht knarrenden Stimme: »Was ist denn das für ein Radau da draußen?«
    »Das ist Corporal Batuswami Bhavabhuti«, sprang David hilfreich ein, noch

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