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Der Kreis der Dämmerung 01 - Das Jahrhundertkind

Titel: Der Kreis der Dämmerung 01 - Das Jahrhundertkind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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bevor eine Antwort durch die Tür sickern konnte. »Dieser ehrenwerte Unteroffizier der Royal Army wird Ihnen vieles von dem bestätigen können, was ich Ihnen gerade erzählt habe.«
    David sollte Recht behalten. Nachdem Balu Dreibein die Bastion der Salontür genommen hatte, stürzte er sogleich auf den Freund zu, ergriff dessen beide Hände und beteuerte, wie Leid ihm das Ganze tue. Mehrere Angestellte des Hauses bestätigten darauf Balus Aussage bezüglich Davids besonderer Stellung in Hannibal’s Court. Aber selbst das war dem gründlichen Ermittlungsbeamten von Scotland Yard noch nicht Entlastung genug. Per Telefon entsandte er einen Polizisten in das Britische Museum.
    »Sie wollten den Leichnam sehen?«, fragte Lieutenant Hastings, nachdem er den Telefonhörer auf die Gabel gelegt hatte.
    David musste schlucken. Dann nickte er.
    »Haben Sie schon einmal einen Toten gesehen, Sir?«
    »Ich bin zwei Jahre lang an der Westfront gewesen. Mein Debüt im Großen Krieg war die erste Schlacht an der Somme. Meinen Sie, das reicht?«
    Der Beamte, der dem Vaterland während des Krieges an seinem Schreibtisch gedient hatte, untersuchte den korrekten Sitz seiner Schnürsenkel. Als er wieder aufsah, sagte er, wesentlich respektvoller: »Entschuldigen Sie, Sir. Sie sehen noch so jung aus.«
    »Eben, das ist ja das Fatale am Krieg. Kann ich jetzt den Toten sehen?«
    »Ja. Kommen Sie bitte.«
    »Einen Moment noch.«
    Der Lieutenant sah ihn fragend an.
    David haderte noch mit sich selbst. Sollte er wirklich sagen, was ihn beschäftigte? Er holte tief Luft. »Haben Sie an Sir Rifkinds Leichnam irgendetwas Ungewöhnliches beobachtet?«
    Die Augen des Polizeibeamten signalisierten erhöhte Wachsamkeit. »Wie meinen Sie das, Sir?«
    »Ist die Art und Weise, wie der Tote aufgefunden wurde, irgendwie unnormal?«
    »Wollen Sie Ihre Frage auf die Körperhaltung des Leichnams beziehen?«
    »Das will ich. Ganz konkret: Hat Sir Rifkind einen stark gestreckten oder sagen wir besser, weit nach hinten durchgebogenen Rücken gehabt?«
    Die grauen Augen des Beamten musterten David prüfend. Es war ihnen anzusehen, wie gerne Lieutenant Hastings in diesem Moment die Gedanken des jungen Newton gelesen hätte, aber weil ihm das nicht möglich war, sagte er schließlich: »Vielleicht wäre es klüger gewesen, wenn Sie diese Frage nicht gestellt hätten.«
     
     
    Davids Vermutung war richtig gewesen: Sir William H. Rifkind hatte einen unnatürlich durchgebogenen Rücken. Der Leichnam lag zwischen Schreibtisch und offenem Stahlschrank. Im ganzen Arbeitszimmer waren die Spuren einer hastigen Durchsuchung zu sehen. Der Safe selbst war fast völlig ausgeräumt.
    David ahnte, was das bedeutete, und bald sollte es sich bestätigen. Zwar vermisste einer der eilig herbeigeholten Notariatsgehilfen nach der ersten oberflächlichen Prüfung nichts, aber David wusste, dass Sir Rifkind nach dem Brand von Camden Hall die Familiendokumente immer unter Verschluss gehalten hatte. Alles – bis vor wenigen Wochen auch Vaters Vermächtnis – war in dem nun geplünderten Tresor gewesen. Darunter auch ein Großteil der Wertpapiere, die nach dem Verkauf diverser Immobilien Davids Hauptvermögen darstellten. Kein Zweifel, dieser Anschlag galt nicht allein dem Familienanwalt der Camdens, er war gegen David selbst gerichtet. Jemand wollte ihn vernichten. Ein Glück nur, dass Sir William im Safe keine Unterlagen über den Oxford-Studenten David Newton aufbewahrt hatte. Diese schlummerten, versteckt in der Anonymität von hunderten anderen, in seiner Kanzlei.
    Lieutenant Hastings war Polizist genug, um zu bezweifeln, dass ein so einflussreicher Mann wie Sir Rifkind in einem fünf Fuß hohen und dreieinhalb Fuß breiten Stahlschrank nichts als Luft aufbewahrte. Aber weder der Kanzleigehilfe noch irgendjemand anderer konnte (oder wollte) ihm etwas über den einstigen Inhalt des jetzt so übersichtlichen Tresors sagen. Was ihn wirklich nachdenklich stimmte, war Davids Frage nach dem Zustand der Leiche, noch bevor er diese – angeblich – zum ersten Mal gesehen hatte.
    David verbrachte einen langen Abend in einem tristen Büro des New Scotland Yard am Ufer der Themse. Lieutenant Hastings stellte ihm unzählige Fragen, die im Grunde alle dasselbe bedeuteten: Haben Sie Sir William Horace Rifkind ermordet?
    Inzwischen war der Beamte zurückgekehrt, der eine bestimmte Mitarbeiterin der British Library zu Hause aufgespürt und befragt hatte. Sie konnte sich an die Lesekarte

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