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Der Kreis der Dämmerung 01 - Das Jahrhundertkind

Titel: Der Kreis der Dämmerung 01 - Das Jahrhundertkind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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eines gewissen David Newton erinnern. Der junge Mann – wenn sie sich recht entsann, ein Student – habe die fragliche Zeit unter der Kuppel des großen Lesesaals zugebracht, eingegraben in einen Berg von Büchern. Sie habe ihm bei der Zusammenstellung derselben geholfen. David pries sich glücklich die nette Bibliothekarin in ein Gespräch verwickelt zu haben, andernfalls hätte sie ihn wohl längst vergessen.
    Aber auch dieses Alibi wollte dem pingeligen Beamten noch nicht genügen. Ebenso gut hätte jemand anderes sich mit Davids Lesekarte in der Bibliothek aufhalten können, während er seelenruhig seinen Mentor umbrachte. David überlegte, ob es irgendetwas nützen könnte, Hastings eine schwarze Nase zu verpassen oder eine gelbe Zunge. Was nützten ihm seine schönen Gaben, wenn er Knall auf Fall im Gefängnis landete und bald vielleicht in einer Todeszelle…
    Bei diesem Gedanken wurden ihm zwei Dinge klar. Erstens: Sollte wirklich Negromanus hinter dem Anschlag gegen Sir William stecken, dann konnte daraus vielleicht der perfekte Mord an David werden: Möglicherweise – hoffentlich! – war Negromanus die wahre Identität von Rifkinds Protege, des Oxford-Studenten David Newton, nicht bekannt. Aber wenn er argwöhnte, dass der Sohn von Geoffrey Camden alias Jeff Fenton noch immer engen Kontakt zum Familienanwalt der Camdens unterhielt, dann musste er früher oder später auf David Newton stoßen. Ein Mord an Sir William Rifkind musste automatisch zur Verdächtigung Davids führen und würde diesen vielleicht sogar an den Strick bringen. Wenn der Henker das Urteil vollstreckte, würde niemand an Lord Belials rechte Hand denken. Genial!, gestand sich David zähneknirschend ein.
    Das Zweite, was David beim Durchgehen seiner beschränkten Möglichkeiten klar wurde, war Folgendes: Nur die Wahrheit konnte ihm jetzt noch weiterhelfen. Er musste diesem misstrauischen Polizisten ja nicht alles sagen, aber er besaß immer noch die Gabe der Wahrheitsfindung.
    »Hören Sie, Lieutenant, das Criminal Investigation Department des Scotland Yard ist für seine professionelle Arbeit bekannt…«
    »Sie werden nichts erreichen, wenn Sie versuchen mir zu schmeicheln«, unterbrach der Beamte.
    »Lassen Sie mich doch bitte wenigstens ausreden!«
    »Bitte«, antwortete Lieutenant Hastings pikiert.
    »Gewiss gibt es im New Scotland Yard auch genaue Aufzeichnungen über Fälle, die schon eine längere Zeit zurückliegen.«
    »Natürlich. Worauf wollen Sie hinaus?«
    »Im Jahre 1882 hat es in Tunbridge Wells und Umgebung mehrere mysteriöse Todesfälle gegeben, darunter auch der Gemeindegeistliche, ein gewisser Pater Garrick. Mehrere der Opfer wurden ähnlich verkrümmt aufgefunden wie heute Sir Rifkind.«
    »Tunbridge Wells fällt nicht unter die Zuständigkeit von Scotland Yard und außerdem sind vierzig Jahre tatsächlich eine ›längere Zeit‹. Wir sind 1892 von Whitehall Place hier in das neue Gebäude herübergezogen. Damals wurde ein Haufen vergilbter Unterlagen ausgemistet.«
    »Angenommen eines der Todesopfer aus Tunbridge Wells hatte noch einen Wohnsitz in London gehabt – wäre es möglich, dass dann bei dem Umzug, also gerade mal zehn Jahre nach den Todesfällen in dem Kurort, die Akten mitgenommen wurden?«
    »Das halte ich sogar für wahrscheinlich. Ich weiß allerdings nicht, in welcher Hinsicht Sie sich davon eine Entlastung versprechen.«
    »Warten Sie. Im Jahre 1916, präzise am 18. März, wurden der Earl of Camden, seine Ehefrau, sein Onkel und ihr Chauffeur bei Windsor tot aufgefunden. Ihre Leichen wiesen dieselben Deformationen auf wie diejenigen von Tunbridge Wells und Sir Rifkind.«
    Lieutenant Hastings Blick bohrte sich in Davids Augen. Ein seltsames Funkeln entstand darin. »Ich erinnere mich. Kurze Zeit später ist doch auch die Stadtresidenz der Camdens niedergebrannt und der Sohn des Earls verschollen. Einige haben behauptet, der Camden-Erbe sei in den Flammen umgekommen, aber, soweit ich mich entsinnen kann, wurde nie eine Leiche gefunden. Der Fall ging damals durch alle Zeitungen. Er wurde von Lieutenant Barepitch bearbeitet, meinem Vorgänger. Er ist inzwischen im Ruhestand.«
    »Wenn wir einmal alle Spekulationen beiseite lassen und nur die Fakten – die mysteriösen Todesfälle – berücksichtigen, halten Sie es dann noch immer für wahrscheinlich, dass ich der Mörder bin? Sehen Sie mich an: Wie jemand, der vor vierzig Jahren einen Mord begehen konnte, sehe ich doch wohl wirklich nicht aus,

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