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Der Kreis der Dämmerung 01 - Das Jahrhundertkind

Titel: Der Kreis der Dämmerung 01 - Das Jahrhundertkind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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seinem Bett hin und her warf. Hoffentlich erreichte das Telegramm Yoshi überhaupt. Er hatte die Möglichkeit erwogen für eine Weile zu Freunden zu ziehen, nur für den Fall der Fälle.
    Als die Morgensonne bereits durch die Kabinenfenster blinzelte, wurde David von Rebekkas Stimme geweckt.
    »Ob Ohei Ozaki noch lebt?«
    David war nicht sofort bei sich. Er drehte sich auf den Bauch und stemmte sich vom Laken hoch. Rebekka saß in einem der beiden Sesselchen. Mit zusammengekniffenen Augen – die Sonne war entschieden zu hell – fragte er: »Was hast du gesagt?«
    Rebekka drehte ihm das aufgeschlagene Diarium zu und tippte auf eine Zeile, die David beim besten Willen nicht erkennen konnte. »Hier, dein Vater schreibt: ›Ich wurde einem japanischen Koch zugewiesen, der Ohei Ozaki hieß, wenigstens glaube ich, mich an diesen Namen zu erinnern. The Weald House hatte sonst nur englischsprachiges Personal, deshalb nannten alle den mandeläugigen Küchenchef nur Double-O.‹ Meinst du, Ozaki könnte noch am Leben sein?«
    David war mit einem Mal hellwach. »Schreibt mein Vater nicht, die Bediensteten seien kurz nach dem Brand alle umgekommen?«
    »Schon, aber er könnte das auf die Stammdienerschaft von The Weald House bezogen haben. An anderer Stelle erwähnt er nämlich, dass es Lord Belial seinen Logenbrüdern freigestellt hatte, mit ihrem Personal zu verfahren, wie sie es für richtig hielten. Überlege doch einmal, David: Toyama war das einzige Mitglied im Kreis der Dämmerung, das seinen eigenen Koch mitgebracht hatte. Double-O muss für ihn sehr wertvoll gewesen sein, wie ein Schmuckstück, von dem man sich nur ungern trennt.«
    Inzwischen befand sich David bei Rebekka und blickte über ihre Schulter in das handgeschriebene Buch. Ab und zu suchte er nach einer Passage, um sich zu vergewissern, ob seinem Gedächtnis keine wichtigen Einzelheiten verloren gegangen waren.
    »Ich glaube, du könntest Recht haben, mein Schatz. Hier steht, Ohei Ozaki sei Mitte bis Ende dreißig gewesen. Lass ihn vierzig gewesen sein, dann wäre er heute ungefähr« – David rechnete kurz im Kopf – »sechsundachtzig! Das ist ziemlich alt.«
    Rebekka nutzte die Gelegenheit, küsste das Gesicht, das mit ihr in das Diarium blickte, und sagte vergnügt: »Aber er könnte noch leben. Als Koch wird er in dem Alter wohl kaum noch arbeiten. Wenn ihn sein Herr wirklich so geschätzt hat, wie es der Bericht deines Vaters nahe legt, könnte er Double-O sogar mit einer kleinen Rente bedacht haben. Das heißt, wir suchen einen greisen Pensionär, der irgendwo seinen Lebensabend verbringt.«
    »Ich werde Yoshi unverzüglich ein zweites Telegramm schicken, in dem ich ihm deine Entdeckung mitteile. Wenn Ozaki noch irgendwo unter seinem richtigen Namen lebt, dann werden Yoshi und Kidos Geheimdienst es herausfinden. Ich bin stolz auf dich, mein Schatz. Du bist wirklich genial!«
    »Schön, dass dir das auch schon auffällt. Darf ich dich noch etwas fragen?«
    »Natürlich. Alles, was du willst.«
    »Warum bewahrst du immer noch den Brief von Johannes Nogielsky in deiner Schatulle auf?«
    Davids Begeisterung erlosch wie eine Kerzenflamme im Wind. Schließlich war es seine Schwertklinge gewesen, die dem deutschen Gefreiten auf dem Gehöft bei Hazebrouck zum Verhängnis geworden war. Nie hatte er den überraschten Ausdruck im Gesicht des jungen Soldaten vergessen können. Obwohl es in Notwehr geschehen war, drückte der Tod dieses Mannes noch immer schwer auf sein Gewissen. Das Rote Kreuz hatte zwar viele Schicksale der auf den Schlachtfeldern Verschollenen klären können, aber die Mutter, der Johannes Nogielskys Abschiedsbrief galt, war unauffindbar geblieben. Verzweifelt blickte er in Rebekkas Augen.
    Sie lächelte ihn tröstend an und küsste seine bebenden Lippen. »Du brauchst nicht zu antworten, Liebster. Ich habe schon verstanden.«
    Der Zielhafen der Philadelphia war Vancouver. Zur Zeit des großen Eisenbahnbaus, der Kanadas Osten mit Britisch Kolumbien verband, waren viele chinesische und japanische Hilfsarbeiter in diese Stadt geströmt, die man zu Recht als die »Perle am Pazifik« bezeichnete. Und weil Asiaten schon von alters her sehr familienorientiert waren, herrschte ein regelmäßiger Pendelverkehr zwischen dem Fernen Osten und der nordamerikanischen Westküste.
    Als Rebekka vom Schiff aus die schneebedeckten Berge nördlich von Vancouver in der Abendsonne glühen sah, seufzte sie voll Melancholie. Wie gerne wäre sie noch in der Stadt

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