Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der Kreis der Dämmerung 01 - Das Jahrhundertkind

Titel: Der Kreis der Dämmerung 01 - Das Jahrhundertkind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
Vom Netzwerk:
geblieben, aber Davids Unrast ließ das nicht zu. Schon am nächsten Morgen bestiegen sie den Zug, der sie quer durch Kanada tragen sollte, um sie schließlich, nach mehrmaligem Umsteigen, in New York City abzusetzen.
    Henry Luces Cleveland-Experiment war schon nach zwei Jahren gescheitert. Als er selbst für längere Zeit im Ausland weilte, verlegte der eingefleischte Großstädter Hadden die Redaktion des Time-Magazins kurzerhand nach New York zurück.
    David hatte im Stillen schmunzeln müssen, als er davon erfuhr. Die beiden ehemaligen Klassenkameraden waren schon ein seltsames Gespann. Immerhin – und das machte es Luce vielleicht leichter, die einsame Entscheidung seines Kompagnons hinzunehmen – schrieb das Magazin seit der Rückkehr in die pulsierende Metropole schwarze Zahlen.
    Hadden freute sich wie ein Schneekönig, als David in Begleitung Rebekkas die Redaktionsräume betrat. Seit der Sturm-und-Drang-Zeit des Magazins hatte sich viel verändert, aber einige Gesichter waren immer noch da.
    »Schön, dich zu sehen, Francis. Lass uns nachher ein Bier trinken gehen«, begrüßte John Martin seinen alten Schüler, klopfte ihm auf die Schulter, steckte sich seine Meerschaumpfeife zwischen die Zähne und war im nächsten Augenblick schon wieder verschwunden.
    »Ich denke, die Prohibition ist noch nicht aufgehoben«, sagte David erstaunt zu Hadden. »Gib’s zu, Brit, du hast während meiner Abwesenheit das ganze Büro kriminalisiert.«
    Dem schlanken Mann, der David inzwischen wie einen Bruder behandelte, bereitete dieser Dialog ein diebisches Vergnügen. »Vor dir konnte man noch nie etwa geheimhalten, Francis. Kommt in mein Büro und erzählt mir, was euch zu der überstürzten Abreise aus Japan bewogen hat.« Und während er David und Rebekka mit einladender Geste in einen schmalen Gang hineindirigierte, rief er in die wachsamen Fledermausohren einer (jetzt) rothaarigen Sekretärin: »Charlotte, bitte Tee für drei.«
    Nachdem David die Tür von Brits Büro hinter sich geschlossen und in einem Sessel neben Rebekka Platz genommen hatte, begann er zu berichten. Wie immer, wenn er mit anderen über sein Privatleben sprach, vollzog er dabei einen verbalen Balanceakt. Eigentlich vertraute er Brit, aber er wollte trotzdem nicht zu viel sagen.
    »Du willst mir wirklich erzählen, du hättest dir mit einem japanischen Geheimbündler – während Hirohitos Inthronisation! – eine Verfolgungsjagd durch die kaiserlichen Gärten von Kyoto geliefert?«
    »Ich wusste, du würdest die Ereignisse noch knapper zusammenfassen können als ich, Brit.«
    Der Verleger sah in Rebekkas ernstes Gesicht, dann wieder zu David. »Aber warum?«
    »Wenn du dich noch an meinen ersten Artikel erinnerst, den ich dir und Henry von Tokyo aus zugesandt habe, dann müsstest du wissen, weshalb ich diesen Mann jage.«
    Brits braune Augen schienen David regelrecht zu durchleuchten. »Ich besitze auch etwas Menschenkenntnis, David. Dein Eifer geht mir ein wenig über den eines fleißigen Reporters hinaus. Ich meine – die Inthronisation eines Gottkaisers! Hast du nicht den Artikel in der New York Times gelesen? An einen Satz erinnere ich mich noch besonders: ›Kann ein Sterblicher ein solches Erlebnis jemals vergessen?‹ Und du veranstaltest auf dieser Feier Hasenjagden!«
    »Drachen.«
    »Was sagst du?«
    »Toyama ist kein flaumweicher Mümmelmann. Er ist ein Feuer speiender Drache.«
    »Ach komm, Francis, mach mir doch nichts vor. Da gibt es doch noch etwas anderes, was dich zu solchen Maßnahmen greifen lässt. Rück raus damit!«
    Jetzt steckte David in der Zwickmühle. »Wir haben vor über vier Jahren ein Abkommen getroffen. Weißt du nicht mehr, Brit? Kein Privatleben.«
    »Mein Gedächtnis ist besser, als du denkst. Ich habe dir damals versprochen, nicht in deiner Vergangenheit herumzuschnüffeln. Dazu stehe ich auch. Aber das hier ist die Gegenwart. Ich werde euch beide nicht aus diesem Büro herauslassen, bis ihr mir endlich gesagt habt, was hier gespielt wird. Meinst du, ich merke nicht, dass dich etwas bedrückt? Ich will euch doch nur helfen!«
    »Das rechne ich dir auch wirklich hoch an, Brit, aber…«
    »Kein Aber, Francis. Sieh es doch mal so, mein Freund: Henry und ich genießen inzwischen ein beträchtliches Ansehen. Wir haben Kontakte zu einflussreichen Personen. Vielleicht können wir Dinge für dich tun, die dir allein unmöglich wären.«
    David sah verunsichert in Rebekkas Gesicht. Sie war ein Teil von ihm. Kein anderer

Weitere Kostenlose Bücher