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Der Kreis der Dämmerung 01 - Das Jahrhundertkind

Titel: Der Kreis der Dämmerung 01 - Das Jahrhundertkind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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tiefe Verbeugungen und entsandte sogleich einen seiner Männer, die nötigen Erkundigungen einzuziehen. Dann ließ er Yoshi und das Ehepaar Murray in einen nahe gelegen Wachraum eskortieren, in dem man ihnen eisgekühlten Tee anbot.
    Wenig später war der vermeintliche Attentäter voll rehabilitiert. Nachdem man Kido über den Vorfall in Kenntnis gesetzt hatte, informierte der sogleich den Kaiser. Hito war wenig erfreut über Davids zirkusreifen Auftritt, aber er befahl »den treuen britischen Freund des Kaiserhauses unverzüglich freizulassen«.
    Sogar der alte Mann, dem David das Leben gerettet hatte, kreuzte in der Wachstube auf und obwohl ihm zahlreiche Prellungen erhebliche Schmerzen bereiteten, wurde er nicht müde sich bei seinem jungen Retter zu bedanken.
    Für David war das nur ein schwacher Trost. Der Tag, auf den er fast zwei Jahre lang hingefiebert hatte, war zu einem der größten Fehlschläge seines Lebens geworden. Weder Rebekka noch Yoshi konnten seine aufgewühlten Gefühle beruhigen. Die Verzweiflung rollte wie ein Wellenbrecher über ihn hinweg. Denn – darüber hatten Frau und Freund anscheinend noch nicht nachgedacht – von nun an würde Toyama ihn jagen.

 
    Wettlauf mit dem Tod
     
     
     
    David und Rebekka reisten umgehend aus Kyoto ab. Hirohito musste an den beiden verbliebenen Tagen seiner Inthronisierung allein zurechtkommen. Zwar beklagte sich Rebekka – sie schien den Ernst der Lage nicht wirklich zu begreifen – , aber natürlich fügte sie sich in ihr Los.
    »Wir müssen untertauchen.« Davids Entschluss überraschte Rebekka im Zug, kurz hinter Kyoto.
    »Oh nein! Nicht schon wieder, David.«
    »Ich hatte dich gewarnt, Schatz. Es ist nicht leicht, mit mir verheiratet zu sein.«
    »Musst du das ausgerechnet jetzt sagen?«
    »Entschuldige. Aber es ist wirklich besser, wenn wir für eine Weile von der Bildfläche verschwinden.«
    »Aber Toyama hat dich doch nur einige Sekunden lang gesehen. Wie soll er wissen, wer du bist?«
    »Er ist wie ein schleimiger Giftpilz, dessen Wurzeln in jede Pore dieses Landes greifen.«
    »Myzel.«
    »Wie bitte?«
    »Pilze haben keine Wurzeln, sondern ein Myzel. Man kann auch Thallus dazu sagen.«
    »Bekka! Mir ist jetzt wirklich nicht danach zu Mute, über…«
    »Mir doch auch nicht«, brach es aus Rebekka heraus. Sie lehnte sich an ihn. »Ich verarbeite eben auf diese Weise meine Verzweiflung. Hast du dir denn nicht überlegt, was es bedeutet, schon wieder allem Lebewohl zu sagen? Meine Schülerinnen werden wütend unsere Haustür einschlagen, weil ich nicht öffne. Mein Klavierlehrer wird lautstark nach der noch ausstehenden Bezahlung verlangen…«
    »Und ich werde dir schon wieder ein neues Piano kaufen müssen. Das wäre dann das dritte, glaube ich.«
    »Du nimmst mich nicht ernst.«
    »Doch, mein Schatz. Aber ich muss genauso wie du meinen Kummer verarbeiten. Es ist ja nicht gesagt, dass wir uns gleich wieder eine neue Identität zulegen müssen. Lass uns für eine Weile das Land verlassen, während Yoshi unsere Suche unauffällig fortsetzt. Deinem Lehrer senden wir sein Geld und deine Schülerinnen schicken wir in die Ferien. Möglicherweise werden wir früher zurück sein, als Toyama lieb ist. Überlege doch, er ist endlich aus seinem Loch gekommen. Vielleicht werden wir ihn mit Yoshis und Hitos Hilfe ja nun endlich fangen und du kannst bald in dein normales Leben zurückkehren.«
    Rebekka legte seufzend ihren Kopf an seine Brust. »Ich glaube fast, das wäre zu schön, um wahr zu sein.«
    David blickte mit glasigen Augen über ihr schwarzes Haar hinweg. Nach einem langen Schweigen sagte er: »Das nächste Mal entkommt er mir nicht.«
    Die Abreise aus Tokyo glich einer Flucht und in gewisser Weise war sie das ja auch. Am Montag, dem 12. November, stachen sie Richtung Kanada in See. Toyama sollte keine Gelegenheit bekommen seine Schwarzen Drachen oder gar Negromanus auf Rebekka zu hetzen. David hatte Yoshi gebeten alle Hebel in Bewegung zu setzen, um den Kopf der Amur-Gesellschaft aufzuspüren. Sobald ihm das gelungen sei, solle er ein Telegramm mit einer verschlüsselten Botschaft in die Vereinigten Staaten schicken. David würde umgehend nach Japan zurückkehren, um sein Werk zu vollenden.
    Die Kabine auf der Philadelphia war, gemessen an früheren Schiffsunterkünften, eine reine Notlösung. Auf die Schnelle hatte David keine bessere Unterbringung bekommen können. Der Raum in der zweiten Klasse war bescheiden eingerichtet und nicht besonders

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