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Der Kreis der Dämmerung 02 - Der Wahrheitsfinder

Titel: Der Kreis der Dämmerung 02 - Der Wahrheitsfinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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fünf olympischen Ringen Heiligenscheine zu machen, die sie, zusammengefügt zu einer fünffachen Krone, dann ihrem »Führer« aufs Haupt setzten. Derart illuminiert sei Hitler natürlich weit über die Landesgrenzen hinaus wahrzunehmen. Eine Aura der Weltoffenheit umwehe ihn und die Parteioberen. Aber Deutschlands olympisches Glänzen sei in Wahrheit nur propagandistischem Kalkül zu verdanken, die Welt wiege sich in Sicherheit, während eigentlich längst die Alarmglocken schrillen sollten.
    Wahrheiten, wie in Davids Artikel ausgesprochen, wollten sich in diesen Tagen vielen Menschen nicht erschließen. Offenbar litten sie unter partieller Blindheit. Selbst in Deutschland wandten angesichts des Propagandatrubels nicht wenige ihre Augen von gewissen unangenehmen Vorfällen ab. Dass Juden bloßgestellt und Andersdenkende abtransportiert wurden, ließ sich eben nicht immer ganz verheimlichen.
    Auch die Bewohner des Hauses am Richardplatz 4 wurden wieder nicht von den Ereignissen verschont. Die Schere zwischen schönem Schein und hässlichem Sein öffnete sich immer weiter. Und gerade die Blumenthals schienen dazu verurteilt, mit der Unmenschlichkeit des Regimes konfrontiert zu werden. Ein wichtiges äußeres Indiz für diese Entwicklung waren schon die so genannten Nürnberger Gesetze vom 15. September 1935. Seit ihrer Verabschiedung gab es in Deutschland auch höchst offiziell eine Zweiklassengesellschaft. Die Bevölkerung wurde in bloße »Staatsangehörige« und »Staats- oder Reichsbürger« mit vollen politischen Rechten aufgeteilt. Den Juden blieb Ersteres vorbehalten, weil die Reichsbürgerschaft nur an »Staatsangehörige deutschen oder artverwandten Blutes« verliehen werden konnte. Jüdisches Blut war nach nationalsozialistischer Auffassung alles andere als »artverwandt«, also arisch, und durfte bei Strafandrohung nicht mit dem reinen Saft vermischt werden.
    Die Briten wurden von Hitler gnädigerweise zu »Artverwandten« erklärt. Als Ehemann einer jüdischen Frau machte sich David damit der »Rassenschande« schuldig. Straffrei blieb er nur, weil er einen ausländischen Pass besaß. So bekam nun auch David den eisigen Hauch des Rassismus zu spüren.
    Selbst jüdische Kinder wie Sara und Tabita waren einem kalten Wind ausgesetzt. Sie konnten, wie bereits angemerkt, keine »Jungmädel« sein, weil sie ja nicht zur »Staatsjugend« gehörten. Im Moment verkrafteten beide diese Einschränkung noch ganz gut. Einen tieferen Einschnitt in ihrem Leben hatte dagegen der staatlich verordnete Schulwechsel bedeutet. Weil Reichserziehungsminister Bernhard Rust meinte, eine »Hauptvoraussetzung für jede gedeihliche Erziehungsarbeit« sei die »rassische Übereinstimmung von Lehrer und Schüler«, hatte er bereits für das Schuljahr 1936 eine »möglichst vollständige Rassentrennung« verfügt. Seit einigen Monaten mussten Sara und Tabita nun schon mit neuen Mitschülern, anderen Lehrern, einem weiteren Schulweg und knapperer Freizeit zurechtkommen…
    In dem Maße, wie der Staatsterror gegen Juden und andere unliebsame Gruppen zunahm, stieg auch der Nazi-Pegel am Richardplatz 4 an. Das Haus wurde zu einem Spiegelbild der deutschen Gesellschaft.
    Nur einen guten Monat nach der Inhaftierung der Hermanns war ein Ehepaar Stolz in den ersten Stock gezogen. Er war ein drahtiger Mitdreißiger vom NSKK, dem Nationalsozialistischen Kraftfahrer-Korps. Sie arbeitete gelegentlich beim BDM als Erzieherin. Hauptberuflich war sie Mutter. Das Ehepaar Stolz hatte nämlich noch einen Filius – drei Jahre alt, kerngesund, kräftige Stimme – mit Namen Adolf. Eigentlich hätte Adolf ein Milleniumskind werden, am 20. April, dem Geburtstag des »Führers«, zur Welt kommen sollen, im ersten Jahr von dessen tausendjährigem Reich. Sehr zum Leidwesen der Eltern wurde Klein Adolf aber erst eine Woche später geboren.
    David fragte sich, ob mit dem Einzug der Familie Stolz nun der Tiefpunkt in der Geschichte des Hauses erreicht war. Am Morgen des 14. März 1937 sollte er eine erschütternde Antwort auf diese Frage bekommen.
     
     
    Es war noch früh am Tag. Sehr früh. David wurde wieder einmal von Motorenlärm und quietschenden Reifen geweckt. Er schreckte aus dem Bett hoch. Es dämmerte gerade.
    »Was ist?«, fragte Rebekka.
    »Da geht etwas vor«, antwortete David und war schon aus dem Bett. Er angelte sich seinen Morgenrock von einem Haken am Kleiderschrank und rannte über die knarrenden Dielen in den Flur. Rebekka kam etwas

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