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Der Kreis der Dämmerung 02 - Der Wahrheitsfinder

Titel: Der Kreis der Dämmerung 02 - Der Wahrheitsfinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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Tür.
    Nun brach das Chaos aus. David, der zu Füßen Hitlers unter dem Tisch kauerte, sah, wie die Tür zum Konferenzzimmer aufflog und unzählige Beine hereinstürmten. Kurz erblickte er einen Reporter – war es nicht der von Le Monde! –, der draußen jammernd am Boden kniete und sich einen blutenden Arm hielt. An Hitlers Seite herrschte noch immer Uneinigkeit darüber, ob es sich bei dem ganzen Vorfall nun um ein professionelles Attentat oder doch nur um die Panne eines Amateurschwindlers handelte. David nutzte die Gunst des Augenblicks für einen Fluchtversuch.
    Schnell rollte er sich zur Seite, kam neben dem »Führer« wieder auf die Beine und rannte zum offenen Fenster. Hinter ihm ertönte ein weiterer Schuss, aber David warf sich nach vorn und die Kugel pfiff über ihn hinweg. Wie ein Akrobat am Hochtrapez flog er mit ausgestreckten Armen durch das Fenster. Leider befand sich der Konferenzraum im ersten Obergeschoss.
    Noch nie hatte der Verzögerer seine Gabe auf sich selbst angewendet. Dementsprechend unbefriedigend war das Ergebnis. David konnte seinen Sturz zwar verlangsamen, aber er schlug trotzdem unangenehm hart auf. Seine japanische Kampfausbildung trug wohl mehr zur Rettung seiner Knochen bei als die Kraft der Verzögerung. Geschickt rollte er sich auf dem Boden ab. Um Haaresbreite wäre er auf einer breiten Freitreppe gelandet, die für derartige Übungen weit weniger geeignet schien.
    Schon stand er wieder auf den Beinen, registrierte eher leidenschaftslos den Verlust des falschen Kinnbarts, der ihm im Flug abhanden gekommen sein musste, und rannte in Richtung Forumbecken davon. Das Haus des Deutschen Sports besaß einen großen Innenhof, den schon erwähnten Jahnplatz. An dessen Westende gab es einen Durchgang. In diese Richtung stürmte David, während hinter ihm energische Stimmen zum Aufgeben drängten. Er wusste, in diesem Moment wurden längst hässliche Befehle gebrüllt. Bald würde es hier von Sicherheitsbeamten nur so wimmeln.
    Am Hofausgang angekommen sprangen David zwei schwarz uniformierte SS-Mannen in den Weg. Er machte sie in aller Schnelle mit den Geheimnissen des japanischen ju jutsu bekannt. Während die Schutzstaffler noch im Forumbecken nach Luft schnappten, lief David bereits Richtung Nordwesten am Hindenburgplatz vorbei, direkt auf eine Grünanlage zu. Wieder hörte er Rufe in seinem Rücken. Aber es fielen keine Schüsse mehr. Das würde denn doch den Glorienschein ankratzen, den die Nazis über ihr schönes Sportfest gehängt hatten. Zwei, drei Atemzüge lang ruhte David sich mit dem Rücken zum Arzthaus aus und blickte zurück. Sechs oder sieben Uniformierte folgten ihm. Er rannte weiter.
    Die Parkanlagen rund um das Reichssportfeld gaben eine ideale Deckung ab. David überquerte einen Grünstreifen und gelangte in eine Siedlung. Ein paarmal veränderte er sein Aussehen, hier die Haar-, da die Hautfarbe. Bei genauerer Betrachtung hätte er als Jesse-Owens-Double wenig Chancen gehabt, aber im Moment war Tarnung alles. Ästhetische Gesichtspunkte spielten eine eher untergeordnete Rolle.
    Ein glücklicher Zufall bescherte David ein Taxi. Mit arisch blondem Haar, einem blauen und einem (versehentlich) grünen Auge sprang er in den Wagen und verlangte in Deutsch mit japanischem Akzent: »Zu den UFA-Studios bitte.«
    Der Fahrer sah ihn entgeistert an.
    »Nun fahren Sie bitte, ich habe es eilig!«
    »Schon jut«, erwiderte der Chauffeur gelassen. Er drehte sich nach vorn und drückte aufs Gaspedal. Kopfschüttelnd murmelte er: »Nee, wat hat sich die Leni Riefenstahl nur dabei jedacht, so ‘ne komische Type für ihr Olympiaepos uffzutreiben!«
     
     
    »Wie war das Interview?«
    David zuckte mit den Schultern. »Es hat nur dreizehn Minuten gedauert.«
    »Hast du etwa die Zeit gestoppt?«
    »Na ja, es kam mir jedenfalls so vor.«
    »Und? Wie ist dieser Hitler so?«
    »Also von ›mystischer Ekstase‹ habe ich bei mir nichts gespürt.«
    »Willst du damit sagen, er war langweilig, so wie die meisten Politiker?«
    »Eher reizbar, würde ich sagen.«
    Rebekka runzelte die Stirn. »Gibt es da etwas, was ich wissen sollte?«
    David nahm sie in die Arme. »Du musst mir aber versprechen, dich nicht aufzuregen.«
    »Darüber reden wir später, wenn ich alles gehört habe.«
     
     
    Der Hitler-Artikel kam in New York gut an. Henry Luce ließ sogar ein Titelblatt springen. Ihm gefiel der ironische Unterton in Davids Bericht: Die Nationalsozialisten verstünden es trefflich, aus den

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