Der Kreis der Dämmerung 02 - Der Wahrheitsfinder
Scharnier.
David wollte die Verschleppung der Blumenthals nicht tatenlos hinnehmen. Daher beschloss er von einem öffentlichen Telefon aus einige Anrufe zu machen. Das war ungefährlicher. In der Regel rief er hierzu bei einem Mittelsmann an, der dann die eigentliche Zielperson informierte. Anschließend trat man über eine Leitung in Verbindung, von der man hoffte, dass sie »sauber« war, also nicht abgehört wurde. Dabei handelte es sich häufig um Anschlüsse in Wohnungen von Sympathisanten, die nach außen hin keinerlei Verbindung zur Zielperson besaßen.
Schon im Mantel, blickte David, einem unbestimmten Gefühl folgend, noch durch die dünne Gardine zum Fenster hinaus – und machte eine verdächtige Entdeckung. Etwas weiter oben am Platz stand eine große Mercedes-Limousine, schwarz, kastenförmiger Aufbau, mit hellem Dach. Darin saßen zwei Männer.
Ein normaler Beobachter hätte vielleicht angenommen, die beiden warteten auf jemanden… Doch dafür schauten sie einfach zu auffällig immer wieder zum Haus Nummer 4 hinüber.
»Bekka, komm mal her!«
Seine Frau eilte herbei und der Dalmatiner – inzwischen hatte er die Fronten gewechselt – trabte ihr nach. Als sie eine Weile aus dem Fenster geblickt hatte, zog sie denselben Schluss wie David. »Die beobachten unser Haus. Das sieht ein Blinder mit Krückstock.«
»Merkwürdig, nicht wahr?«
»Was meinst du?«
»Die Gestapo mag ja gewissenlos sein, aber sie ist bestimmt nicht hirnlos. Ich glaube, die da draußen wollen von uns gesehen werden.«
»Aber was sollte das für einen Sinn ergeben?«
»Ganz einfach. Sie wollen uns einschüchtern. Für den Schwarzmantel sind wir beide keine unbeschriebenen Blätter, Das hat er mehr als einmal durchblicken lassen, vielleicht auch mit Absicht.«
»Und was wirst du nun tun?«
»Erst möchte ich in Erfahrung bringen, was aus den Blumenthals geworden ist, und dann sollten wir zusehen, dass wir hier wegkommen.«
Eine richtige Observierung hätte natürlich das ganze Haus eingeschlossen. Aber noch schien dieser Aufwand nicht nötig zu sein. Der Schwarzmantel wollte die Pratts unter Druck setzen. Jedenfalls nahm David das an. Aber wenn man Fotos von ihm machte – und davon musste er ausgehen –, dann konnte irgendwann irgendjemand aus irgendeinem verflixten Zufall heraus ausgerechnet diese Schnappschüsse mit einer Beschreibung des flüchtigen Mr Trap vergleichen. Die Nazis waren zwar oft vernagelt, aber nicht unbedingt dumm.
Das wirklich Gefährliche an der neuen Situation lag also in dem Umstand, dass die Behörden nun auf David aufmerksam geworden waren. Der Kreis der Dämmerung hatte seine Handlanger überall. Sein deutscher Repräsentant, Franz von Papen, war ja schon häufiger durch exzellente Beziehungen aufgefallen.
Nachdem David ungesehen durch die Hintertür aus dem Haus geschlüpft war, fuhr er mit der Straßenbahn in den Stadtteil Treptow und versuchte dort von öffentlichen Telefonen aus mit einigen seiner Informanten in Kontakt zu treten. Leider ohne Erfolg. Warum nur waren die Blumenthals verhaftet worden? Er hatte zwar einen schlimmen Verdacht, aber der war zu vage, um ihn auch nur offen auszusprechen.
Zuletzt trat David mit Martin Niemöller in Verbindung. Jetzt gleich könnten sie sich nicht sehen, ließ der Pastor ihm über einen Mittelsmann ausrichten. Es fege gerade ein Sandsturm durch die Gemeinden. Und Sand war gewöhnlich braun.
Einen Tag später trafen sich die beiden Männer im Botanischen Garten, unweit von Martins Wohnung. Seine Pfarrei hatte Niemöller bereits im Februar 1934 aufgeben müssen. Seitdem engagierte er sich stark in der Bekennenden Kirche, der vielleicht ein Drittel aller protestantischen Geistlichen angehörten. Die Anbiederung bei den Nationalsozialisten sei eben auch in den evangelischen Kirchen eher Regel als Ausnahme, war einmal von Martin bedauernd angemerkt worden.
Die beiden Männer hatten sich eine Bank unter einer großen Libanonzeder gesucht. Um diese Jahreszeit hielten sich die meisten Pflanzenfreunde ohnehin nur in den großen beheizten Gewächshäusern auf, um dort die Orchideen zu bestaunen.
Gleich zu Beginn ihres Gespräches machte David seinem Unterstützer klar, dass dies wohl vorläufig ihr letztes Treffen sein werde, er beabsichtige mit seiner Frau Deutschland zu verlassen. Dann fragte er den Freund nach dem »Sandsturm« vom Sonntag.
Langsam und präzise, mit besorgter Miene, doch unverzagt, berichtete Martin Niemöller, was er von
Weitere Kostenlose Bücher