Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der Kreis der Dämmerung 02 - Der Wahrheitsfinder

Titel: Der Kreis der Dämmerung 02 - Der Wahrheitsfinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
Vom Netzwerk:
Schreibens brachte Rebekka an den Rand eines Nervenzusammenbruchs.
     
    Hochverehrter Herr Pratt!
    Mit Bedauern muss ich Ihnen mitteilen, dass Frau Mia Kramer vor vier Tagen in der Frauenstrafanstalt »Gotteszell« verstorben ist. Ich hatte die Gelegenheit, mit ihrer Zellengenossin via Telefon zu sprechen. Angeblich habe sich Frau Kramer »einfach auf ihrer Pritsche zusammengerollt und sei verwelkt wie eine Hibiskusblüte«. Dieser merkwürdige Vergleich stammt von dem Mithäftling. Mia Kramer sei »immer kleiner geworden und eines Nachts vom Stängel des Lebens abgefallen« . Angeblich sei sie an »gebrochenem Herzen gestorben« . Für mich ist eine derartige metaphorische Sprache immer etwas befremdlich, aber ich hielt es für meine Pflicht, Sie…
     
    Der Rest waren Anwaltsphrasen, die so viel Mitgefühl enthielten, wie sie ein Paragraphenautomat eben zustande brachte.
    »Sollten wir je eine Tochter bekommen, werde ich sie Mia nennen«, gelobte Rebekka unter Tränen.
    »Wolltest du sie nicht Dina oder Sarah…« David biss sich auf die Lippe. »Der Name Mia ist wirklich schön. Ich finde ihn sehr passend für unser Töchterchen in spe.«
    David brauchte Stunden, um Rebekka wieder einigermaßen aufzurichten. Nicht nur die Trauer um Mia hatte sie bewegt, sondern in ihrem Namenswunsch zeigte sich auch ein tiefer liegender, alter Schmerz: Rebekka litt sehr darunter, dass sie nach dem furchtbaren Erlebnis in Paris nicht mehr schwanger geworden war. Dazu war nun noch die Tragödie um ihren »Leihsohn« Benni gekommen. Als vor Jahren die Zeitungsmeldungen von der lang ersehnten Geburt des japanischen Thronfolgers erschienen waren, hatte Rebekka fast eine Stunde lang still vor sich hin geweint. Nicht, weil sie Hirohito und Nagako den Sohn nicht gönnte – wegen ihr konnte der kleine Akihito noch viele Brüderchen bekommen –, aber warum durfte nicht auch sie, wenigstens ein Mal Mutterfreuden erleben?
    Die Hiobsbotschaft von Mias tragischem Dahinscheiden hätte zu keinem unpassenderen Zeitpunkt eintreffen können. Aber wann kamen solche Nachrichten schon gelegen?
    Der Abschied von Berlin weckte in David widerstreitende Gefühle. Er und Rebekka hatten hier Furchtbares erlebt und trotzdem war die Stadt für sie zu einer Art Heimat geworden. Das lag wohl weniger an Berlin selbst, den geschäftigen Straßen und eindrucksvollen Häusern, sondern vielmehr an den Menschen, die sie hier kennen gelernt hatten.
    Und nicht jeder, der in der Stadt lebte, war im selben Maß von den Schrecken des Nazi-Regimes betroffen wie die einstigen Bewohner des Richardplatzes 4. Für manchen, vielleicht sogar für die meisten, bedeutete das viel beschworene »Dritte Reich« nichts anderes, als hin und wieder die Hand zum »Heil Hitler!« hochzuwerfen, nicht so genau hinzuhören, wenn hier und da von den KZs gesprochen wurde, und ansonsten ein ganz normales Leben zu führen. Sollte je bekannt werden, was Hitler alles auf dem Kerbholz hatte, würden vermutlich viele nur betroffen den Kopf schütteln und versichern: Das haben wir alles gar nicht gewusst.
    Draußen huschte die Landschaft vorbei und David fragte sich, ob er nichts vergessen hatte. Das Gepäck? Eigentlich das kleinste Problem. Die meisten seiner Sachen hatte er schon während der letzten Woche Stück für Stück aus der Wohnung geschafft. Sogar Rebekkas Einhorn , das Bild von Ruben Rubinstein, war nach Hamburg verbracht worden. Sean Griffith sammelte dort alles, um es als Diplomatenfracht in die Vereinigten Staaten zu verschiffen.
    Zwei Koffer und eine Reisetasche mussten sich bereits in Frankfurt am Main befinden. Sie würden am kommenden Morgen mit dem Gepäck all der anderen Reisenden in den Zeppelin wandern. Die größten Sorgen bereiteten David ein kleiner Lederkoffer, der wie eine etwas zu groß geratene Aktentasche aussah, und eine lange Pappröhre. Ersterer enthielt Davids komplettes Schattenarchiv sowie die Schatulle seines Vaters mit dem Diarium, Johannes Nogielskys Abschiedsbrief, Jasons Träne und einige andere persönliche Kostbarkeiten, wie etwa den vom Herzog von Atholl zum Hochzeitstag überreichten Tartan, Die beiden Schwerter steckten in der besagten Röhre. Es hatte David überhaupt nicht gefallen, all diese Dinge aus der Hand geben zu müssen. Als er Väterchen seine diesbezüglichen Bedenken mitgeteilt hatte, war dessen Antwort sehr deutlich ausgefallen.
    »Entweder Sie verlassen Ihre Wohnung wie ein Paar, das nur einen netten Abend bei einem Konzert oder im Kino

Weitere Kostenlose Bücher