Der Kreis der Dämmerung 02 - Der Wahrheitsfinder
vielleicht noch einmal zum Alexanderplatz fahren werde. Bei der Berolina-Statue war eine Bühne aufgebaut, auf der es »Musike« geben sollte.
Das Gestapo-Protokoll würde später vermerken: Ehe paar Pratt verlässt mit Hund die Wohnung um achtzehn Uhr achtundfünfzig. Dalmatiner geht von der Leine. Tier sucht sich nächstgelegenen Baum und pinkelt.
Wenigstens einen kleinen Blick zurück wollten sich David und Rebekka gönnen. Sie gingen Hand in Hand über die Straße und drehten sich am Rande der Grünanlagen des Richardplatzes noch einmal um.
Es war ein lauer Abend, die Fenster im Haus Nummer 4 jedoch alle geschlossen.
»Weiß der Geyer, was wir jetzt tun?«, murmelte David sinnfällig. »Nein, weder er noch die anderen, und das ist gut so. Kaltes, Herz, Stolz und Unmuth wohnen jetzt in diesem Haus, das einmal so warm und lebendig war. Ich werde es vermissen, Bekka.«
Beide schauten traurig zu den grauen Gardinen hinauf. Was Licht-, nein Lebensöffnungen sein sollten, wirkte düster und leer. Niemand lächelte hier mehr. Keiner winkte. Nur einige Schatten in den Fenstern bewegten sich. Wie einst in Rom…
Die Glocke der Bethlehemkirche riss die Scheidenden aus ihrer Versenkung. David rief nach Pünktchen, gab Rebekka einen Kuss und flüsterte ihr zu: »Achte auf deine Tränen, Schatz.« Dann fasste er ihre Hand fester und sie gingen davon.
Der dunkle Mercedes fiel zurück. Man wollte ja unauffällig sein. Bald bemerkte David den »Ledermantel«, der an diesem lauen Maiabend einen aschfarbenen Zweireiher trug. Er hielt sich immer ungefähr fünfzig Meter hinter ihnen. Wenn David und Rebekka an einem Schaufenster stehen blieben, betrachtete er die Auslagen eines anderen, sobald sie ihren Spaziergang fortsetzten, riss auch er sich vom Angebot des jeweiligen Geschäfts los: Rasierpinsel, Kneifzangen, Rattenfallen…
David hatte sich für das Abenteuer einen hellgrauen Sommeranzug ausgesucht, eigentlich noch etwas zu leicht für die Jahreszeit, aber das spielte für seinen Plan eine untergeordnete Rolle. Rebekka trug ein rosafarbenes Kostüm: schmale Jacke, enger langer Rock mit kleinem Schlitz.
Bald erreichten sie den U-Bahnhof Bergstraße. Der Eingang befand sich auf einer Fahrbahninsel. Sie stiegen die Treppen hinab, bezahlten an einem kleinen Fahrkartenhäuschen ihren Obolus und betraten den Bahnsteig.
Der Gestapo-Observierer ließ nicht lange auf sich warten. Er wusste, jetzt begann erst die richtige Arbeit. Die Untergrundbahn war für Ledermäntel ein Alptraum. Vor allem in Stoßzeiten. Wenn die Massen in die Waggons drängten oder hinaus, dann musste man blitzschnell reagieren, wollte man das Überwachungsobjekt nicht verlieren. Alles wäre vielleicht einfacher gewesen, hätte man eine derartige Aktion mit Funksprechgeräten und genügend Leuten durchführen können, aber die drahtlosen Kommunikationseinheiten hatten die Größe von Rucksäcken und waren mit ihren überlangen Antennen in einer U-Bahn nicht gerade unauffällig, vermutlich nicht einmal funktionsfähig.
Man wartete. David und Rebekka weiter oben an der Bahnsteigkante, der Ledermantel unten. Alle blickten auf die jenseits der Gleise liegende Wand, als gäbe es dort etwas Aufregendes zu sehen. Aber außer Kraft-durch-Freude-Plakaten und grünen Keramikfliesen war da nichts. Jeder U-Bahnhof hatte seine eigene Farbe: Neukölln war gelb, die Bergstraße grün, der Hermannplatz blau… Fast wie beim Aschinger.
Endlich kam von rechts her ein tiefes Dröhnen, ein Lindwurm räkelte sich in den Tiefen der Erde. Jetzt war er aus dem Schlaf erwacht, ganz deutlich an den beiden gelben Augen zu erkennen, die da auf die Wartenden zurasten. Mit Getöse und Gequietsche kam der Zug am Bahnsteig zum Stehen. David und Rebekka stiegen vorne ein, der Ledermantel im Waggon dahinter.
Jetzt begann die schwierige Phase des ganzen Manövers. Ohne Pünktchen hätten sie leichteres Spiel gehabt. Ein weißes Fell mit schwarzen Tupfen – auffälliger konnte man sich eigentlich nicht kleiden. Der Zug ruckte an. Das Paar blieb stehen. Pünktchen saß bei David – genauer gesagt auf seinem rechten Fuß – und hypnotisierte ihn mit ihren braunen Augen. Wenn ihr »Leittier« einen Befehl gab, wollte sie ihn nicht verpassen.
Sie hatten sich keine bestimmte Station ausgewählt, aber naturgemäß waren die Umsteigebahnhöfe für das, was sie planten, am besten geeignet. Am U-Bahnhof Hermann-Straße war ein Mann zugestiegen. David benutzte ihn als Deckung, um
Weitere Kostenlose Bücher