Der Kreis der Dämmerung 02 - Der Wahrheitsfinder
angeschossenen Dollfuß jämmerlich hatten verbluten lassen.«
»Das erklärt die Abneigung der österreichischen Regierung gegen Hitlers Werben.«
»Und? Gibt es etwas Neues aus Österreich?«
Das konnte man wohl sagen. Von Davids altem Busenfeind, Franz von Papen. »Anscheinend ist der deutsche Botschafter auf dem besten Wege, die Dollfuß-Affäre vergessen zu machen. Er setzt seinen Ruf als ›guter Katholik‹ ein, um bei der katholischen Kirche Österreichs für Hitler zu werben. Kardinal Innitzer scheint Papen schon aus der Hand zu fressen, als Nächstes wird er wohl seinen Arm zum Hitler-Gruß hochreißen.«
»Wir werden uns der Sache annehmen.«
Das will ich hoffen. David war in keiner sehr guten Stimmung. Er hatte Papen auf dem Abstellgleis gewähnt und erst viel zu spät bemerkt, dass Belials Logenbruder in Österreich nur seine nächste Schandtat vorbereitete. Ein Anschluss der Alpenrepublik an das Deutsche Reich bedeutete einen gefährlichen Machtzuwachs für Hitler.
»Was wird nun aus Ihrem Teil unserer Abmachung?«, fragte David.
Wieder das großväterliche Lächeln. »Was halten Sie von einem Flug nach New York?«
David riss die Augen auf. »Flug? Wollen Sie Rebekka und mich etwa in einen Postsack stecken und mit einem dieser Dornier-Flugboote der Lufthansa nach Südamerika fliegen?«
»Es war von New York die Rede, nicht von Rio de Janeiro. Nein, ich habe für sie beide Flugkarten für die Hindenburg besorgt.«
Jetzt verschlug es David die Sprache. Das Luftschiff Hindenburg! Der Stolz der deutschen Zeppelinflotte. Die Zeitungen waren voll davon. Die zweihundertfünfundvierzig Meter lange »Zigarre« sollte am 3. Mai – in nur drei Tagen! – von Frankfurt aus ihren Transatlantikflug nach Lakehurst antreten, einem Vorort von New York. Im Gegensatz zu den engen, zugigen Passagierflugzeugen waren die Luftschiffe fliegende Luxushotels.
»Ist das ein Scherz?«, fragte David entsetzt. »Sie wissen, dass die Gestapo-Leute inzwischen wie Kletten an Rebekka und mir hängen. Es wird immer schwerer, sie abzuschütteln. Wir könnten niemals ungesehen in das Luftschiff gelangen…«
»Aber das brauchen Sie auch gar nicht«, unterbrach Väterchen seinen aufgeregten Agenten. »Wir müssen nur dafür sorgen, dass Sie ohne Beschattung in die Nähe der Hindenburg kommen. Verstehen Sie noch immer nicht, David? Goebbels will den ersten diesjährigen Transatlantikflug der LZ 129 zu einem großen Propagandaspektakel machen. Reporter aus aller Welt werden beim Start anwesend sein und auch bei der Landung. Die Nazis würden sich nie die Blöße geben und Sie mit Ihrer Frau vor laufenden Kameras festnehmen.«
Sekundenlang schaute David den Agentenführer nur an. Langsam erst setzte sich das Gesprochene in seinem Bewusstsein fest. Väterchen hatte Recht. Auf diese Weise konnte es wirklich klappen. Er fuhr sich mit den Fingern durch die Haare. »Also gut. So machen wir’s.«
»Schön«, freute sich Ayckbourn. »Sie werden am 2. Mai den Nachtzug nehmen und mit Ihrer Frau erst kurz vor dem Abflug in Frankfurt eintreffen. Einen Großteil Ihres Reisegepäcks haben Sie ja schon in den letzten Tagen aus der Wohnung geschafft. Wenn Sie übermorgen Abend das Haus verlassen, muss es aussehen, als wollten Sie beide ins Kino gehen. Kaufen Sie sich meinetwegen Karten für diesen neuen Zeichentrickfilm von Disney. Wie heißt er noch gleich? Schneewittchen und die sieben Zwerge… «
»Der mag vielleicht in London laufen, aber ganz sicher nicht in Berlin«, brummte David.
»Sie wissen, worauf ich hinauswill Wenn die Gestapo Sie verliert, darf sie nicht beunruhigt sein. Sie werden weiter das Haus beschatten und auf Ihre Rückkehr warten.«
»Und irgendwann dämmert’s ihnen.«
»Dann liegt Berlin bereits zwei- oder dreihundert Kilometer hinter ihnen beiden.« Väterchen schob David nun einen Umschlag zu, der schon die ganze Zeit auf dem Tisch gelegen hatte. »Hier drin sind die Flugkarten und alle weiteren Instruktionen. Sie erfahren auch, wie Sie den Kontaktmann erkennen, der in Frankfurt am Weltluftschiffhafen mit Ihren persönlichen Habseligkeiten auf Sie warten wird.«
»Wozu das?«
Väterchen lächelte gewinnend. »Reine Vorsichtsmaßnahme, David. Wir wollen doch nicht, dass Ihnen und Ihrer reizenden Gemahlin irgendetwas zustößt.«
Die brennende Zigarre
Es war noch hell, als sie das Haus am Richardplatz verließen. Herz gegenüber hatte David anklingen lassen, dass man am Abend mit der U-Bahn
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