Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der Kreis der Dämmerung 03 - Der weiße Wanderer

Titel: Der Kreis der Dämmerung 03 - Der weiße Wanderer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
Vom Netzwerk:
man in einen wunderbaren alten Garten blickte, traf David schließlich auf den Menschen, für den er so viel Bewunderung empfand. Einstein saß in einem großen Korbsessel mit dem Rücken zu ihm. Als er den Journalisten kommen hörte, drehte er sich um.
    »Sie können nur der geheimnisvolle Mr Pratt sein«, rief er in einem Englisch mit hartem schwäbischem Akzent. David war von der herzlichen Begrüßung des Physikers überrascht. Henry hatte ihn vorgewarnt, Einstein sei schwierig und Pressevertretern gegenüber oft wenig aufgeschlossen. Nicht von ungefähr zeigte ein bekanntes Foto das Jahrhundertgenie mit herausgestreckter Zunge.
    »Und Sie nur der legendäre Mr Einstein«, gab David schlagfertig zurück. Während Reporter und Physiker sich die Hand reichten, fügte er hinzu: »Woran haben Sie mich erkannt?«
    »Es muss wohl an Ihren Haaren liegen.«
    David konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen. »Wie sich die Bilder gleichen!« Albert Einsteins Markenzeichen, abgesehen von der spitzen Zunge, war die widerspenstige graue Mähne.
    Körperlich wirkte Einstein ein wenig hinfällig. Womöglich litt er unter einer Krankheit oder befand sich gerade in der Rekonvaleszenz – immerhin blickte er schon auf vierundsiebzig Lebensjahre zurück. Geistig dagegen war der Physiker in Höchstform. Er bestand darauf, den perfekten Gastgeber zu mimen. Sein Freund, der heitere Herr Gödel, hatte ein lauffreudiges Dienstmädchen und es schien Einstein ein diebisches Vergnügen zu bereiten, das junge Ding durch die Gegend zu scheuchen.
    »Möchten Sie noch etwas Limonade, Mr Pratt?«
    Das Interview war bereits in vollem Gange. David schüttelte den Kopf. »Vielen Dank, Mr Einstein. Wissen Sie eigentlich, dass dies nicht unsere erste Unterhaltung ist?«
    »Sie hatten in unserem Telefonat bereits so etwas angedeutet.«
    »Sagt Ihnen der Name Jadlowker etwas?«
    »Das Berliner Synagogenkonzert, natürlich!«
    »Das war am 29. September 1930. Ich erinnere mich noch, als wäre es gestern gewesen. Sie haben Violine gespielt.«
    Einstein machte ein betroffenes Gesicht. »Oh weh! Dann ist mir allerdings klar, warum Sie es nicht vergessen können.«
    »Mir hat Ihr Geigenspiel gefallen. Aber noch mehr beeindruckte mich unsere anschließende Unterhaltung.«
    »Ich bin ein schlechter Lügner, Mr Pratt, deswegen sage ich es freiheraus: Leider kann ich mich nicht im Geringsten daran erinnern.«
    »Das macht gar nichts. Ehrlich gesagt gefällt mir Ihre Offenheit. Auf die Gefahr, dass ich wie ein idealistischer Teenager klinge, aber in diesem Jahrhundert bin ich nur wenigen großen Männern begegnet. Neben Mohandas Karamchand Gandhi sind Sie einer davon.«
    Einsteins Unterkiefer sackte herab. »Habe ich Sie eben richtig verstanden: Sie kannten den Mahatma persönlich?«
    David bejahte die Frage und schon nahm das Gespräch einen neuen Verlauf. Einstein bezeichnete sich als einen der größten Verehrer Gandhis. In dessen Ablehnung der Gewalt läge das »Gegengift«, sagte der Nobelpreisträger nicht ohne einen melancholischen Unterton in der Stimme, zu den massiven, aus der Kernspaltung erwachsenen Gefahren.
    Die innere Zerrissenheit Einsteins war für David unübersehbar. »Durch Ihre Forschungen ist die Hiroshimabombe erst möglich geworden. Ist das nicht bitter für Sie?«
    Das graue Haupt des Wissenschaftlers nickte schwer. Mit einem Mal wirkte sein mit braunen Flecken übersätes Gesicht sehr alt. »Und ob. Wenn ich nur daran denke, wie wir ‘39 diesen Brief an Roosevelt geschickt und ihn zum Bau der Atombombe ermuntert haben, weil wir glaubten, Hitler würde es sonst vor uns tun…!« Jetzt schüttelte Einstein bekümmert den Kopf. »Ich wünschte manchmal, ich könnte auf einem Lichtblitz in die Vergangenheit reisen und einige dunkle Abschnitte meines Lebens ausradieren.«
    Unweigerlich musste David schmunzeln. »Aus Ihrem Munde klingt das wie eine gar nicht so abwegige Geschichte. Ich nehme an, das ist auch Teil ihrer Relativitätstheorie?«
    »Ja sicher: Wenn Sie sich schneller als das Licht bewegen, ist es kein Problem, in die Vergangenheit zu reisen.«
    »Wissen Sie das bestimmt?«
    Einsteins Mundwinkel zuckten amüsiert. »Phantasie ist wichtiger als Wissen, Mr Pratt.«
    »Sie sprechen wohl eher von Ihrer sprichwörtlichen Intuition.«
    »Vielleicht auch davon, obwohl ich dieses Geniegerede für maßlos übertrieben halte. Fest steht, wenn ich mich zu Beginn dieses Jahrhunderts nur auf das Wissen meiner Zeit gestützt hätte, wären

Weitere Kostenlose Bücher