Der Kreis der Dämmerung 03 - Der weiße Wanderer
Schreibmaschinentastatur setzen, den Namen Golizyn eintippen und die Maschine druckt dazu alle passenden Adressen aus.«
»Du bist ein Visionär, Ruben. Aber ich bezweifle…«
»Hör auf zu zweifeln!«, unterbrach Ruben seinen Freund streng. »Du musst glauben. Wenn du aufhörst an dich zu glauben, wirst du scheitern.«
David sah den Maler erschrocken an. Nur allmählich sickerte die Einsicht in sein Bewusstsein: Ruben sprach die Wahrheit. Er, David, durfte sich nicht gehen lassen. Hörbar stieß er die Luft durch die Nase aus und straffte den Rücken. »Vielleicht sollte ich in Amerika weitermachen und hier nach dem zweiten ›Schlüssel‹ An Chung-guns suchen.«
Ruben lächelte. »So gefällst du mir schon viel besser. Eine Operation hier wäre – lass mich das als dein neuer Vermögensverwalter anmerken – auch leichter zu finanzieren als weltweite Recherchen. Du hast mir einmal zum Thema Ku-Klux-Klan erzählt, er hänge irgendwie mit dem Kreis der Dämmerung zusammen… Meinst du, der von An erwähnte Geheimbündler ist dort zu finden?«
»Nein. Ich kenne den Namen dieses Logenbruders. Dabei handelt es sich um einen gewissen Kelippoth, wenigstens hieß er noch so, als ich ihm 1929 das Wasser abgegraben habe.«
Ruben schlug David freundschaftlich aufs Knie. »Also ich finde, dein Koreaabenteuer hat uns ein gutes Stück vorangebracht. Jetzt hör endlich auf, Trübsal zu blasen, und lass uns den amerikanischen Bösewicht suchen.«
Mit seiner lebensbejahenden Einstellung und seinem unerschütterlichen Optimismus half Ruben Rubinstein dem Freund über manche Krise hinweg. Früher hatte Rebekka diese gewiss nicht leichte Aufgabe wahrgenommen, nun konnte sich David auf den treuen Künstler stützen.
Das war auch dringend nötig, denn die Suche nach dem Phantom gestaltete sich, wie man sich denken kann, schwierig. David fuhr kreuz und quer durch die Vereinigten Staaten. Zweimal besuchte er sogar Mexiko. Zum Glück übernahm Time die Kosten für viele dieser Reisen. Henry Luce wurde nicht müde, seiner »Geheimwaffe« David Pratt illustre Namen hinzuwerfen, deren Träger der überredungsbegabte Prominenteninterviewer fast alle im Sturm eroberte.
Wenn sich David auch in der Rolle der lebenden Legende nicht recht wohl fühlte, hatte die Sache immerhin etwas Gutes: Er lernte Leute kennen, die ihm nützlich sein konnten. Seine Nachrichtenagentur bestand derzeit aus nicht viel mehr als einem Briefkasten, über den er mit seiner Bruderschaft kommunizierte, aber mit den vielen Kontakten, die er nun knüpfte, mochte aus dem Papiertiger eines Tages eine mächtige Waffe im Kampf gegen den Kreis der Dämmerung werden.
Im Spätsommer 1953 hatte er eine Begegnung der besonderen Art, die er zunächst nur für die Erfüllung eines Jugendtraumes hielt. Erst viel später sollte ihm bewusst werden, dass es eine der wichtigsten seines ganzen Lebens war.
David reiste mit dem Zug nach Princeton. Das Wetter war herrlich. Der Himmel präsentierte sich in makellosem Blau. Das Treffen sollte gewissermaßen auf neutralem Boden stattfinden, im Haus eines Freundes von Albert Einstein.
Der Vertraute des Genies, wie dieser am hiesigen Institute for Advanced Study tätig, holte David persönlich mit dem Wagen vom Bahnhof ab. Er war ein Mathematiker und Logiker von Weltruf, ließ davon aber wenig durchblicken. Im Talar hätte man den Siebenundvierzigjährigen eher für einen gemütlichen Gottesmann halten können, gesegnet mit einem angenehmen, gleichwohl tiefsinnigen Humor. Seine Knickerbocker und die Schirmmütze passten dagegen eher zu einem Chauffeur, eine Rolle, die ihm im Moment sehr zu gefallen schien. David verstand sich mit Kurt Gödel auf Anhieb, vielleicht weil man in der österreichischen Mundart schnell eine erste Gemeinsamkeit entdeckt hatte.
Der unablässig redende Gödel war besonders stolz auf sein Cabriolet, einen rosa-weißen Cadillac. Mit offenem Faltverdeck rollte die ausladende Limousine durch Princeton. Bald erreichten sie eine baumbestandene Straße, an der sich hübsche Villen reihten. Vor einer blieb der Wagen des Mathematikers stehen.
»Ich werde Sie mit Albert allein lassen. Bitte fassen Sie das nicht als Unhöflichkeit auf, Mr Pratt.«
»Im Gegenteil, Herr Gödel. Ich danke Ihnen außerordentlich für Ihre Bereitschaft, bei diesem Treffen als Vermittler zu fungieren.«
Der Professor lachte. Anscheinend tat er das oft – seine Augen umrahmten unzählige Lachfältchen.
Auf einer Veranda, von der
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