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Der Kreis der Dämmerung 03 - Der weiße Wanderer

Titel: Der Kreis der Dämmerung 03 - Der weiße Wanderer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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eben die Wassermoleküle auf Trab gebracht werden. Es ist dasselbe Prinzip.«
    »Und umgekehrt?«
    »Funktioniert’s natürlich genauso. Wenn die Mikroteilchen im Wasser abgebremst werden, erstarrt die Flüssigkeit wieder zu Eis.«
    David betrachtete nachdenklich den schmelzenden Eiswürfel in dem Limonadenglas vor ihm auf dem Tisch. Er stellte sich die Wassermoleküle wie einen winzig kleinen Fischschwarm vor, der unablässig durcheinander wirbelte. Was würde geschehen, wenn die kleinen Quirler in Honig statt Limonade schwämmen?
    Klirr!
    Physiker und Journalist blickten gleichermaßen erstaunt auf das Limonadenglas, vielmehr auf das, was von ihm noch übrig war. Das Erfrischungsgetränk war von einem Moment zum anderen zu Eis erstarrt und hatte sein gläsernes Behältnis auseinander gesprengt.
    »Haben Sie das gesehen?«, fragte Einstein überflüssigerweise.
    David nickte. Jetzt hatte er einen trockenen Mund, aber nichts mehr zu trinken. »Wie konnte das passieren?«
    »Ist mir auch schleierhaft.«
    Die Reste des Phänomens wurden schnell beseitigt und das Dienstmädchen brachte ein neues Glas. Es dauerte einige Zeit, bis David die soeben gemachte Entdeckung an den Rand seines Bewusstseins drängen und die Unterhaltung wieder in geordnete Bahnen lenken konnte. Man unterhielt sich – für die Leser des Time-Magazins – noch eine Weile über Einsteins derzeitige Arbeit, die Formulierung der »einheitlichen Feldtheorie«, deren Ziel die Beschreibung der maßgeblichen Kräfte des Universums auf einer homogenen Basis sei. Dann schwang sich der Gedankenaustausch in noch höhere Dimensionen empor. Es ging um die Frage nach jenem genialen Geist, der das so Ehrfurcht einflößende Regelwerk des Mikro- und Makrokosmos ersonnen haben musste.
    Einstein beschloss den Dialog mit einer bemerkenswerten Äußerung. Er sagte: »Das ganze Universum besteht aus den gleichen Atomen, also ist auch die Energie, die in der Masse jedes einzelnen Atoms steckt, ein Funke jener schöpferischen Kraft, die einst das Universum hervorbrachte.«
    Das knapp dreistündige Gespräch gab David schwer zu denken. Als er mit dem Zug nach New York zurückreiste, platzten im Salonwagen etliche Whiskey- und Champagnergläser. Er registrierte es mit stiller Freude. Auf die Frage, was er an diesem Tag gelernt habe, hätte er ohne Zögern antworten können: Mehr als in meinem bisherigen Leben.
     
     
    Phantasie sei wichtiger als Wissen, hatte Einstein zu ihm gesagt. Aber ohne Wissen nützt die blühendste Phantasie nichts, setzte David in Gedanken hinzu. Gleichermaßen beflügelt von der visionären Persönlichkeit Einsteins wie auch von Rubens realistischer Einschätzung der in Korea gewonnenen Erkenntnisse, begann David seiner Phantasie Nahrung zu geben. Einmal mehr schöpfte er aus vertraulichen und öffentlich zugänglichen Quellen, um Hinweise auf den geheimnisvollen »zweiten Schlüssel in Amerika« zu finden, jenen Logenbruder Belials, dessen Namen An Chung-gun nicht verraten hatte.
    Beim Studium der Tagespresse sprangen David manche Nachrichten förmlich entgegen, andere weniger, was nicht unbedingt mit der Wichtigkeit der Meldungen zu tun hatte. So nahm die Öffentlichkeit kaum Notiz davon, als James Dewey Watson und Francis Crick 1953 unter Verwendung einer Fotografie ihrer Kollegin Rosalind die Doppelhelixstruktur der DNS entschlüsselten. Desoxyribonukleinsäure – allein der zungenbrecherische Name schien von vornherein jedes Interesse zu ersticken. Viel mehr Bewunderung verdienten dagegen nach Ansicht vieler so wagemutige Männer wie Edmund Percival Hillary und Tenzing Norgay, die im selben Jahr erstmals den höchsten Berg der Welt, den Mount Everest, bestiegen hatten. Mit gewaltigem Brimborium wurde auch die Geburt von Mike gefeiert, dem großen Bruder von Little Boy, wenn man so will. Als Mike am 1. November 1952 auf den Marshall-Inseln das Licht der Welt erblickte, erlitt dabei das Eniwetok-Atoll unwiderruflichen Schaden. Mikes Mutter, die »große amerikanische Nation«, war trotzdem sehr stolz. Die Sowjets sollten es nur wagen, irgendwo auf der Erde den amerikanischen Machtbereich anzutasten. Die Vereinigten Staaten würden – das war der Gedanke hinter Trumans Containment-Politik – jedem mit Geld und Waffen beistehen, der sich dem kommunistischen Vormarsch entgegenstellte. Mike, die erste im Test erprobte Wasserstoffbombe, war also herzlich willkommen.
    Deshalb verwunderte es kaum, dass nicht wenige im westlichen Lager beim

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