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Der Kreis der Dämmerung 03 - Der weiße Wanderer

Titel: Der Kreis der Dämmerung 03 - Der weiße Wanderer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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Schweigens, ungefähr eine Minute lang.
    »Natürlich will ich keinen offenen Konflikt mit China«, brach endlich Truman das Eis. »Mao koaliert mit Stalin. Jeder hier weiß, wohin die Geschichte führen würde.«
    Einmütiges Nicken am Tisch.
    Dem Präsidenten entrang sich ein schweres Seufzen. »Es wird wohl doch besser sein, den Konflikt mit konventionellen Mitteln zu beenden.«
    David atmete hörbar auf. Am liebsten hätte er laut gejubelt. Der Kreis der Dämmerung war wieder einmal gescheitert, die Selbstauslöschung der Menschheit verhindert. Vorerst jedenfalls.
     
     
    Nachdem die Idee eines Atomschlages erst einmal aus den Köpfen der Politiker und Strategen verbannt war, widmete man sich den Detailfragen über das weitere Vorgehen. Beschlüsse wurden gefasst oder zumindest angedacht. David riet zu »häufigeren Abstimmungen mit dem Oberbefehlshaber, weil besonnene Köpfe in die militärische Entscheidungsfindung vor Ort eingebunden werden« sollten. Eine vorsichtige Umschreibung dafür, dass MacArthur gebremst werden müsse, um ein Ausufern des Koreakrieges zu verhindern. Diesmal verstand man ihn am Tisch sofort und seine indirekte Warnung wurde durchaus ernst genommen.
    Als Truman laut darüber nachdachte, den nationalen Notstand zu erklären, um der prekären Lage Herr zu werden, bat David darum, gehen zu dürfen. Über solche Fragen sollten sich die Politiker die Köpfe zerbrechen. Er hatte sein Ziel erreicht.
    Erstaunlich herzlich verabschiedete sich Truman von der »Legende David Pratt«. Dem Geehrten erschien diese von MacArthur stammende Titulierung reichlich übertrieben. Wenn der General erst davon erfuhr, dass sein Protege ihm an diesem Abend die militärische Unfehlbarkeit abgesprochen hatte, dann dürften ihm vermutlich noch einige weniger schmeichelhafte Namen einfallen.
    Für David war der Koreakrieg damit zu Ende, nicht jedoch für die Welt. Am 24. Dezember wurden mit Ausnahme der kampffähigen Männer sämtliche Einwohner Seouls aufgefordert, die Stadt erneut zu verlassen. Während eines unerbittlichen Winterkrieges kam es zu beispiellosen Gräueltaten. Die südkoreanischen Einheiten konnten nur mühsam davon abgehalten werden, sämtliche Gefangenen zu erschießen. Am 11. April 1951 verlor Douglas MacArthur sein Kommando und wurde durch General Matthew B. Ridgway ersetzt. Bereits drei Monate später wurden Waffenstillstandsverhandlungen aufgenommen, die sich zwei Jahre hinziehen sollten. Die Frontlinie hatte sich um den achtunddreißigsten Breitengrad herum stabilisiert. Bei der Betrachtung der politischen Landkarte konnte man also meinen, alles sei beim Alten geblieben – die drei Millionen neuen Gräber aus dem Koreakrieg waren darauf ja auch nicht verzeichnet.
    Am 27. Juli 1953 wurde der Waffenstillstand endlich besiegelt. Solange David lebte, würde in der Verhandlungsbaracke von P’anmunjöm eine lange Tafel stehen, die zum Symbol eines zerrissenen Volkes werden sollte: Die Verhandlungspartner saßen an ihr jeder in seinem Land – die Grenze ging mitten durch den Tisch.

 
    Alles ist relativ
     
     
     
    David Pratt war wie vom Erdboden verschluckt. Dafür kehrte Dan Kirpan am 2. Dezember 1950 nach New York zurück. Als er die Gelbe Festung betrat, begegneten ihm einige merkwürdige Gestalten mit Frisuren, die er noch nie gesehen, und Kleidungsstücken, von denen er nie gehört hatte.
    Die Begrüßung Ruben Rubinsteins fiel ungemein herzlich aus. Der Maler lud David in sein Atelier ein. Es roch nach Farbe. An den Wänden hingen und standen zahlreiche neue Bilder. Mehrere Staffeleien zeigten unvollendete Werke.
    »Unter Arbeitsmangel scheinst du jedenfalls nicht zu leiden«, stellte David fest.
    Ruben lächelte selig. »Ich habe zu keiner Zeit so viel geschuftet wie gerade jetzt, aber ich war auch niemals so zufrieden!«
    »Offenbar habe ich auch ein paar neue Mieter. Ziemlich skurrile Typen, wie mir scheint. Sind die genauso emsig am Arbeiten wie du?«
    »Die meisten. Wenn du auf deine finanzielle Situation anspielst, kann ich dich beruhigen. Ich habe bei der Vermietung herausgeholt, was möglich war.«
    »Ich hoffe, es ist nicht vermessen, aber könntest du mir einen Vorschuss geben? Ich bin völlig abgebrannt.«
    Ein verschmitztes Blinzeln Rubens kündete die frohe Nachricht an. »Was heißt hier Vorschuss? Alles, was ich dir geborgt habe, ist bereits zurückgezahlt. Und wenn du nicht allzu verschwenderisch bist, müsstest du das nächste halbe Jahr ganz gut leben

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